Geld allein macht nicht glücklich

Nicht mehr die Formel 1 dominiert Baku, sondern der Fußball. Das EL-Finale ist selbst vor Wahrzeichen nicht zu übersehen.
Nicht mehr die Formel 1 dominiert Baku, sondern der Fußball. Das EL-Finale ist selbst vor Wahrzeichen nicht zu übersehen.(c) imago images / Pacific Press Age (Aziz Karimov)
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Im Europa-League-Finale steht die Zukunft von Chelsea-Trainer Maurizio Sarri auf dem Spiel. Arsenal hofft auf das Champions-League-Ticket – Mchitarjan fehlt aus Sicherheitsgründen.

Baku. Für Chelsea-Fans heißt es, in Anspielung auf Elton John, seit Monaten: „Sarri seems to be the hardest word.“ Ungeachtet der Resultate verlangen sie den Rausschmiss des Trainers, sodass für ihn das Europa-League-Finale gegen Lokalrivalen Arsenal am Mittwoch (21 Uhr, live, Dazn) ein Schicksalsspiel wird. Der Italiener gibt sich vor dem London-Derby am Kaspischen Meer kämpferisch: „Wenn das wirklich so ist, haue ich gleich den Hut drauf. Zehn Monate Arbeit sollen für mich in 90 Minuten auf dem Spiel stehen? Das kann nicht richtig sein.“

Genau so aber springt man bei Chelsea seit jeher mit Trainern um. Seit Oligarch Roman Abramowitsch 2003 den Londoner Klub übernahm, ist Sarri bereits der elfte Manager. Nur einer, Guus Hiddink, zog in Frieden weiter. Bisher wurden nicht weniger als 92 Millionen Pfund für Abfindungen an geschasste Betreuer bezahlt. Erst vor wenigen Tagen verlor Chelsea eine von Sarris Vorgänger Antonio Conte eingebrachte Klage über neun Millionen Pfund.

Der „Taliban-Manager“

Hatte Conte die Wandlung vom Messias (Meistertitel 2017) zum Buhmann in zwei Jahren geschafft, benötigte Sarri nur wenige Monate. Nach einem starken Auftakt mit zehn Siegen in zwölf Spielen riss der Faden. Die Gegner entdeckten, dass sie Chelsea lahmlegen konnten, wenn Jorginho nicht zum Zug kommt. Der vermeintliche Spielmacher wurde Meister des Selbstzwecks: Er spielte nicht weniger als 3000 Pässe, aber keinen einzigen Assist.

Chelseas System basiert an sich auf schnellen Kontern. Ein 3-4-3 mit Schwergewicht auf Ballbesitz und Ausspielen statt Niederwalzen des Gegners gefällt weder Spielern noch ihren Fans. Jedoch je lauter die Kritik wurde, desto sturer wurde der Trainer. Sein Personal sei „schwer motivierbar“.

Jetzt verstand man in England, warum er in Italien „Taliban-Manager“ genannt wurde: Sarri lässt Situationen bis zum Verzweifeln üben. Mit den Millionärsbübchen zeigte der Kettenraucher kaum Mitgefühl: „Harte Arbeit ist es, wenn man um sechs Uhr früh in die Fabrik gehen muss“, sagt er. Sein Vater war Stahlarbeiter. Er selbst kam zum Fußball durch Eifer: Der gelernte Bankkaufmann betreute früher nebenbei Unterklassevereine.

Im modernen Unterhaltungsbetrieb sind andere Typen gefragt und als Vorbilder dienlich. Etwa Jürgen Klopp, Pep Guardiola oder Mauricio Pochettino. Darum wird Sarris Einschätzung nichts nützen, dass „wir eine gute Saison hatten, die mit einem Sieg in Baku zu einer ausgezeichneten werden kann“. Er führte Chelsea trotz Turbulenzen auf den dritten Platz in der Meisterschaft, ins Cupfinale und eben in dieses Endspiel. Den Ansprüchen des Vereins genügt das nicht: Unter Abramowitsch wurden 15 Titel erobert, und wenn er den Verein, wie es Gerüchte besagen, wirklich verkaufen will, dann braucht er mehr.

Das wird aber noch schwerer. Chelsea droht eine Transfersperre für zwölf Monate. Der beste Spieler des Vereins, Eden Hazard, ist nach dem Spiel am Mittwoch wohl endgültig weg: Real lockt mit 100 Millionen Euro Ablöse und angeblich 20 Millionen Euro Gehalt im Jahr. Im Kader stehen zu viele Spieler um die 30 Jahre, es ist Zeit einen Neuanfang. Chelsea hat 42 junge Spieler in ganz Europa verliehen, darunter Rohdiamanten wie Ethan Ampadu, Reece James oder Fikayo Tomori. Den Feinschliff wird ihnen wohl nicht mehr Sarri verleihen.

Politik an der Seitenlinie

Dieses Endspiel hat neben Streitigkeiten wegen Anreise und knappen Ticketkontingenten für Engländer auch eine politische Note. Der armenische Arsenal-Star Henrich Mchitarjan reiste wegen Sicherheitsbedenken nicht mit nach Aserbaidschan. Mitspieler, Gegner und Politkritiker geben ihm recht. Im Gegenzug wirft das Außenministerium der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik am Kaspischen Meer Mchitarjan vor, seine Absage als politischen Zweck zu missbrauchen. Andere Armenier hätten ohne Probleme an Großveranstaltungen in Baku teilgenommen.

Warum findet das Endspiel überhaupt in Baku statt? Socar, der staatliche Ölkonzern, bleibt bis mindestens 2022 einer der Hauptsponsoren der Uefa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2019)

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