Die kleine Schweiz und die große Sportwelt

Steven Zuber von der TSG Hoffenheim, einer von 22 Legionären im Schweizer Kader, traf zum 1:1 gegen Brasilien.
Steven Zuber von der TSG Hoffenheim, einer von 22 Legionären im Schweizer Kader, traf zum 1:1 gegen Brasilien. (c) imago/Fotoarena (Marcelo Machado de Melo)
  • Drucken

Die Schweiz, gespickt mit etlichen Legionären bei europäischen Topklubs, ist still, heimlich und leise als Nummer sechs der Weltrangliste zu einer festen Größe herangereift. Wie ein kleines Land die Sportwelt aufmischt.

Rostow/Wien. Das 1:1 zwischen Brasilien und der Schweiz mochte auf den ersten Blick wie eine Sensation anmuten, viel mehr als eine kleine Überraschung war dieses Remis bei näherer Betrachtung jedoch nicht. Die Entwicklung der Eidgenossen in der Weltsportart Fußball ist beachtlich, die Fifa führt sie mittlerweile auf Platz sechs der Weltrangliste – nur Deutschland, Brasilien, Belgien, Portugal und Argentinien sind auf dem Papier besser, Schwergewichte wie Frankreich, Spanien oder Italien aber finden sich hinter der Schweiz, die seit der WM 2006 nur ein einziges Großereignis (EM 2012) verpasst hat.

Das ist insofern beachtlich, weil die „Nati“, wie die Nationalmannschaft in der Heimat genannt wird, davor lange Zeit beinahe überhaupt keine Rolle auf der großen Bühne gespielt hat.

Bei Topklubs unter Vertrag

Nach der Teilnahme an der WM 1966 qualifizierte sie sich erst 28 Jahre später (WM 1994) wieder für eine Endrunde, mit Blickrichtung Heim-Euro 2008 (gemeinsam mit Österreich) förderte der nationale Fußballverband gezielt den Nachwuchs. Die Europameisterschaft im eigenen Land kam zwar noch etwas zu früh (Aus in der Gruppenphase), sie war allerdings der Startschuss zur Schweizer Fußballoffensive. Der Kader der Nationalmannschaft wurde qualitativ immer hochwertiger. Standen vor zehn Jahren noch sieben Spieler aus der nationalen Super League im 23-Mann-Kader für die EM, so findet sich bei der diesjährigen WM mit Verteidiger Michael Lang vom FC Basel nur noch ein einziger Nichtlegionär im Aufgebot von Teamchef Vladimir Petković.

Juventus Turin, Borussia Dortmund, Schalke 04, Arsenal, Milan: Schweizer Teamspieler sind auch bei den klingenden Adressen Europas in Mode gekommen. Der individuelle Aufschwung beflügelte auch das Nationalteam. Auf dem Weg zur WM in Russland kassierte die Schweiz bei neun Siegen nur eine einzige Niederlage. Nach dem 0:2 gegen Europameister Portugal am letzten Spieltag musste man aufgrund der schlechteren Tordifferenz in die Play-offs, wo Nordirland mit einem Gesamtscore von 1:0 besiegt wurde.

Die beeindruckende Bilanz in der Qualifikation wurde nüchtern behandelt und von Fans und Medien nicht überschwänglich zelebriert, weil Schweizer Fußballerfolge mittlerweile Normalität geworden sind. In Österreichs Fußballlandschaft sind derartige Errungenschaften nach wie vor eine Seltenheit, wie die Qualifikation für die EM 2016 und der folgende Absturz beispiellos belegten.

Mit 8,3 Millionen Einwohnern zählen unter den 32 WM-Teilnehmern nur Costa Rica, Kroatien, Dänemark, Panama, Serbien, und Uruguay weniger. Die Schweiz dient jedoch als perfektes Beispiel dafür, dass eine vergleichsweise geringe Einwohnerzahl nicht vor sportlichen Erfolgen schützt.

Von Federer bis Feuz

Denn die Eidgenossen sind längst nicht nur im Fußball Weltspitze: Roger Federer ist mit 20 Grand-Slam-Titeln der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten und führt seit Montag mit 36 Jahren und zehn Monaten wieder die Weltrangliste an. Skispringer Simon Ammann überflügelte die Konkurrenz bei Olympischen Winterspielen auf dem Weg zu Gold gleich vier Mal. Langläufer Dario Cologna, ebenfalls viermaliger Olympiasieger, gehört seit Jahren zu den Schnellsten in der Loipe. Auf den Skipisten sorgen Beat Feuz und Lara Gut für Siege. Und dem ehemaligen Radprofi Fabian Cancellara (Olympiasieger im Einzelzeitfahren 2008, 2016) konnte an seinen besten Tagen wahrlich niemand folgen.

Auch im Rudern, Mountainbiken oder Triathlon ist die Schweiz Weltklasse, von der langen Tradition in der Leichtathletik und dem legendären Letzigrund ganz zu schweigen. Vor wenigen Wochen schrammte das Eishockey-Nationalteam nur knapp am ersten Gold vorbei. Kurzum: Schweizer Erfolge haben System. Das Land pflegt eine Sportkultur, die hierzulande allzu oft vermisst wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

World Cup - Group E - Brazil vs Switzerland
Fußball-WM

Brasilien gegen Schweiz: Ein Traumtor genügte nicht


Schweiz rang Rekordweltmeister Brasilien mit beherztem Spiel ein 1:1-Remis ab. Coutinho traf, aber Neymar überzeugte nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.