England: Triumph des kollektiven Geists

Nach Englands Aufstieg ins Halbfinale feierten Kyle Walker, John Stones und Jesse Lingard (von links) mit den Fans.
Nach Englands Aufstieg ins Halbfinale feierten Kyle Walker, John Stones und Jesse Lingard (von links) mit den Fans.(c) APA/AFP/YURI CORTEZ
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Erstmals seit 28 Jahren stehen die Three Lions wieder in einem WM-Halbfinale. Mannschaftliche Geschlossenheit, Standardstärke und ein Torhüter in Hochform lassen das Team von Gareth Southgate vom ersten Titel seit 1966 träumen.

Samara/Wien. Seit 52 Jahren wartet England auf den nächsten großen Titelgewinn der Nationalmannschaft, bei der WM in Russland ist die Mannschaft von Gareth Southgate dem Traum so nah wie schon lang nicht. Mit dem 2:0-Sieg über Schweden haben es die Three Lions erstmals seit 1990 wieder ins Halbfinale geschafft, die Marschroute ist klar. „Wir sind noch nicht fertig“, betonte Harry Kane, der mit sechs Treffern erster Anwärter auf die Torschützenkrone ist.

Zwei Siege fehlen auf den zweiten WM-Titel nach 1966, trotz der großen Chance sind Spieler und Trainer um Bodenhaftung bemüht. „Der kollektive Geist ist es, wieso wir hier sind. Wir haben noch keine Weltklassespieler, aber viele Junge, die mentale Stärke beweisen“, erklärte Southgate, der nach der Partie jeden einzelnen Spieler umarmte. Im Halbfinale gegen Kroatien am Mittwoch werde es erneut auf die mannschaftliche Geschlossenheit ankommen. „Wir haben den Jungs vor dem Spiel gesagt, dass wir noch eine Woche hier bleiben wollen. Jetzt liegt es an uns, welche beiden Partien wir hier noch bestreiten.“ Bei einem Halbfinalsieg wartet am Sonntag das Finale, sonst das Spiel um Platz drei.

Meister der ruhenden Bälle

Bei aller Euphorie mahnte Southgate in gewohnter Manier. „Wir müssen uns weiterhin verbessern – die Spieler und der Betreuerstab“, betonte der 47-Jährige. Unter den letzten vier zu stehen bedeute noch nicht, auch zu den vier stärksten Mannschaften der Welt zu zählen. „Das müssen wir erst unter Beweis stellen“, konstatierte der Coach. Spielerisch hat die englische Mannschaft durchaus noch Entwicklungspotenzial. Das einstige „Kick and rush“ wurde erfolgreich abgelegt, echte Dominanz zeigten die Three Lions aber nur in den Gruppenspielen gegen Tunesien und Panama.

Auch gegen das schwedische Kollektiv hatten die Engländer im Offensivspiel ihre Mühe und konnten sich kaum Chancen herausspielen. „Wir haben gegen einen Gegner gespielt, der eine klare Identität hat und dessen Geschlossenheit früher zu viel für uns war“, erklärte Southgate. In den jüngsten 15 Duellen gelangen nur zwei volle Erfolge gegen die Skandinavier. Diesmal aber konnte sich England einmal mehr auf seine vielleicht größte Stärke verlassen: Innenverteidiger Harry Maguire köpfelte nach einem Eckball zum 1:0 ein – der bereits achte englische Treffer nach einem ruhenden Ball, kein anderes Team war aus Standardsituationen erfolgreicher. Nach der Pause sorgte Dele Alli für die Entscheidung und meinte: „Wir spüren die Unterstützung in der Heimat. Das tut uns sehr gut.“

Ein weiterer Erfolgsgarant war Jordan Pickford, der erneut in Hochform agierte und zwei schwedische Topchancen mit Glanzparaden zunichtemachte. „Ich versuche einfach, hart an mir zu arbeiten und auf dem Platz das Beste für mein Team zu geben“, gab sich der 24-Jährige bescheiden. Für Pickford ist es an der Zeit, der Fußballhistorie seines Landes ein neues Kapitel hinzuzufügen. „Als England zum letzten Mal das WM-Halbfinale erreicht hat, war ich noch nicht auf der Welt. Wir wollen unsere eigene Geschichte schreiben“, erklärte der Schlussmann von Everton.

Verspäteter Fan-Ansturm

In England wurde der Triumph groß gefeiert, nach Samara waren jedoch nur 3500 Anhänger angereist, im Stadion blieben viele Plätze leer. Bei der WM 2006 waren noch gut 30.000Anhänger zum Viertelfinale gegen Portugal in Gelsenkirchen gekommen. Wegen höherer Preise und längerer Distanzen wurden diesmal deutlich weniger Ticketbestellungen aus England (34.235) als beispielsweise aus Deutschland (71.687) oder Kolumbien (68.667) registriert. Für das Halbfinale gegen Kroatien in Moskau wird nun ein Ansturm erwartet, British Airways hat Zusatzflüge angekündigt. (swi/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2018)

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