Halbfinale

„England ist nicht besser als Kroatien“: Die Warnung vor ruhenden Bällen

Ob Luka Modrić auch am Mittwoch wieder einen Elfmeter schießen wird?
Ob Luka Modrić auch am Mittwoch wieder einen Elfmeter schießen wird?(c) APA/AFP/NELSON ALMEIDA
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Kroatien gilt als unangenehmer Gegner, Einsatz und Teamgeist überragen. Ex-Teamchef Otto Barić, 85, sieht seine Landsleute „aber müde. Sie brauchen auch Glück.“

Zagreb. Egal, wie, aber Hauptsache immer „maximal“: Otto Barić lebte dieses Credo in seiner Karriere als Trainer und Teamchef vor. Und auch als 85-jähriger Pensionär wird er des Fußballs nicht müde. Für einen kroatischen TV-Sender analysiert der ehemalige österreichische und kroatische Teamchef in Zagreb die WM. Der Erfolgslauf der „Feurigen“, die am Mittwoch (20 Uhr, live ORF eins) gegen England um den Finaleinzug spielen, kommt für ihn keineswegs überraschend.

„Kroatien kann schon seit längerer Zeit mit den besten Mannschaften mithalten“, sprudelt es aus Barić. Dass sie so weit kommen konnten, sei höchstens „eine kleine Überraschung“. Von den Namen her ist es tatsächlich keine Sensation. Luka Modrić, Ivan Rakitić, Mario Mandžukić, Marcelo Brozović, Ivan Perišić – diese Spielergeneration der Südosteuropäer ist fürwahr mit Talent gesegnet.

Größer, besser, gleichwertig

Rakitić und Modrić, „Achter“ von Barcelona und Real, seien die Stützen, so Barić. „Aber der Schlüssel ist die Stimmung zwischen Trainern und Spielern. Sie glauben fest daran, Großes schaffen zu können. In einem Turnier ist das wichtig.“

Teamchef Zlatko Dalić, 51, vor der WM ein eher unbeschriebenes Blatt – er arbeitete in Saudiarabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten –, habe so etwas wie eine Wohlfühloase geformt. Man spreche wieder miteinander, der Auftritt wirke geschlossen, ja sogar harmonisch. Barić muss es wissen, er führte sein Heimatland 2004 in die EM. Damals war bereits in der Vorrunde Schluss. Es passt perfekt ins Bild, dass damals England mit 4:2 gewann. Danach musste „Otto Maximale“ abdanken.

Die „Three Lions“ von 2018 sieht Barić, der jeweils Rapid (1985, 1:3 Everton) und Salzburg (1994; 2-mal 0:1 Inter Mailand) ins Finale des Cups der Cupsieger führen konnte, auf Augenhöhe mit den Kroaten. „Sie sind ein guter Gegner, aber nicht besser. Sie haben eine größere Liga, größeres Potenzial – und leider mehr gleichwertige Spieler.“ Kroatien habe hingegen „besondere Spieler“, aber nur 14 statt 23 „mit Niveau für die Spitze“. Sperren und Verletzungen, wie die Knieblessur von Vrsaljko, seien schwer zu verkraften. Durch den Ausfall des erprobten Rechtsverteidigers wird die eingespielte Innenverteidigung mit Lovren/Vida gesprengt, das sei ein schwerer Schlag für Kroatiens Finalambitionen.

Nach überzeugenden Siegen in der Gruppenphase, u. a. dem 3:0 gegen Argentinien, wurde es für die Kroaten in den Play-offs plötzlich komplizierter. Gegen Dänemark und Russland stimmten Laufwege und Taktik nicht mehr überein, jeweils gelang erst im Elfmeterschießen der Aufstieg. „Manchmal braucht man auch Glück, so ist das im Fußball“, sagt Barić. Die Extraschichten könnten aber den Unterschied ausmachen, befürchtet der siebenfache österreichische Meistertrainer (Innsbruck, Rapid, Salzburg). Er sagt: „Kroatien ist ein bisschen müde.“

Seine Meinung zur Endrunde in Russland ist zwiegespalten. Das Niveau sei gut, zufrieden sei er trotzdem nicht. Der Unterschied zwischen Europa und dem Rest der Welt sei zu eklatant, Afrika weiterhin eine Enttäuschung. Was dann bei einer WM, bei der 48 Mannschaften aufkreuzen, los sein wird? „Die Idee mit 48 Mannschaften ist idiotisch. Bei einer WM will man die Besten sehen. So viele gute Teams gibt es nicht.“

In Russland Neuland betreten

Aber auch Kroatien und England betreten am Mittwoch Neuland. Beide sind in diesem Jahrtausend noch in keinem WM-Halbfinale gestanden. Für das „Mutterland des Fußballs“ wäre es erst das zweite WM-Endspiel nach 1966. Für Kroatien (Salzburg-Legionär ?aleta-Car ist nur Ersatz) eine historische Gelegenheit, sagt Real-Star Modrić. Acht der elf Turniertreffer erzielte England nach Standardsituationen, „ruhende Bälle gilt es zu vermeiden“, erklärt er. „Keine Fouls, keine Karten keine Dummheiten.“

Dass Rakitić und er alles unternehmen müssten, um endlich den Schatten der 1998er-Generation (Platz 3 in Frankreich) zu entkommen, wisse er. Legenden gibt es schließlich in jedem Land. Die 120 Minuten samt Elfmeterschießen gegen Dänemark und Russland haben allerdings an den Kräften gezehrt. „Aber im Semifinale zu stehen ist eine Motivation, die uns neue Energie gegeben hat.“

Und die Ausgangslage? Von bisher sieben Duellen mit Kroatien hat England bei zwei Niederlagen und einem Unentschieden vier gewonnen. (fin/APA)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2018)

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