Kletter-WM: Die goldene Route in der Vertikalen

In luftiger Höhe greift Jakob Schubert nach einer WM-Medaille.
In luftiger Höhe greift Jakob Schubert nach einer WM-Medaille.(c) ÖKV/Heiko Wilhelm
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Nach 25 Jahren gastiert die Kletter-WM wieder in Innsbruck. Lokalmatador Jakob Schubert, 27, spricht über Faszination und seine Chancen.

Klettern boomt in Österreich seit Jahren, längst hat der Sport eine breite Masse erreicht. Berge und Felsen sind dafür nicht mehr zwingend nötig, denn quer durchs Land sprießen Hallen aus dem Boden. Die größte in ganz Europa wurde vor einem Jahr in Innsbruck eröffnet: Auf 5000 m? bieten sich Spitzen- wie Hobbysportlern drei Klettertürme im Freien sowie insgesamt 500 Routen bzw. 200Bouldermöglichkeiten. 12,3 Millionen Euro ließen sich Stadt, Land und Bund das Prunkstück kosten, das nun als Teil der Bühne für die Heim-WM fungiert. 25 Jahre nach den letzten Titelkämpfen in Innsbruck wird ab Donnerstag wieder um Medaillen geklettert.

Über zehn Tage messen sich 863 Athleten in den Disziplinen Vorstieg (Steilwand mit Seilsicherung), Bouldern (freies Klettern bis zu 4,5m hoch), Speed (eins gegen eins auf genormter Route), Kombination sowie 143Para-Climber. Als große rot-weiß-rote Medaillenhoffnung gilt Jakob Schubert. Der Lokalmatador holte 2012 in Paris WM-Gold im Vorstieg, vor Heimpublikum möchte er erneut auftrumpfen. „Das ist die wichtigste WM meiner Karriere, weil sie daheim in Innsbruck ist“, sagt der 27-Jährige. Die Vorbereitungen hat er beim täglichen Training im Kletterzentrum, dessen Außenbereich für die Qualifikationsbewerbe adaptiert wird, hautnah mitbekommen, das hat die Vorfreude weiterwachsen lassen.

Die Organisatoren rechnen mit bis zu 40.000 Zuschauern, die Medaillenentscheidungen fallen auf einem mobilen Aufbau in der Olympiaworld. Die Unterstützung der Fans sieht Schubert als „Extramotivation“. „Das kann einen noch einmal zu neuen Höhen pushen, dass man den einen oder anderen Zug mehr herausholen kann“, glaubt der dreimalige Gesamtweltcupsieger. Natürlich erhöhe sich auch der Druck und die eigenen Erwartungen, verrückt machen lässt er sich davon aber nicht. „Ich denke nicht zu viel darüber nach, gehe es Schritt für Schritt an. Zuerst gilt die Konzentration der Qualifikation.“

Den WM-Auftakt macht Schuberts Paradedisziplin Vorstieg. Die Wand, die es dabei zu bezwingen gilt, ist 15 m hoch und weist bis zu 10,25 m Überhang auf. Seine Topform hat der Innsbrucker mit zwei Weltcupsiegen und einem zweiten Rang in dieser Saison unter Beweis gestellt. „Die Vorbereitung war gut. Ich habe alles getan, um die Medaillenchance zu maximieren.“


Olympischer Test. Erstmals werden in Innsbruck auch in der Kombination, mit der Klettern 2020 in Tokio seine Olympiapremiere feiern wird, Medaillen vergeben. Hierfür werden die Platzierungen der Einzelwertungen miteinander multipliziert, im Finale müssen die Disziplinen dann hintereinander geklettert werden. Als einer von wenigen hat es Schubert in dieser Saison in zwei Disziplinen (Vorstieg, Bouldern) auf das Podest geschafft und zählt daher zum Favoritenkreis. „Fast wie eine andere Sportart“ empfindet er das noch ungewohnte Speedformat, sieht sich nach intensivem Training aber gerüstet: „Vom Weltrekord bin ich ein gutes Stück entfernt, aber im Vergleich stehe ich gut da.“

Mit der Wahl der Kombination für Olympia waren nicht alle Athleten glücklich, doch der Weltverband wollte keine Disziplin bevorzugen. „Es ist ein guter Kompromiss“, findet Schubert und freut sich vorrangig über die Chance auf eine Teilnahme in Tokio. „Das wäre ein Traum.“ Die Bühne der fünf Ringe bedeute einen gewaltigen Push für den gesamten Klettersport, ist er überzeugt, insbesondere in finanziellen Belangen. Der Heeressportler ist dank Sponsoren und Fördermittel derzeit Vollprofi. „Es ist nicht so, dass ich ausgesorgt hätte, aber ich kann gut davon leben und mir auch ein bisschen ansparen“, so Schubert, der einen Bachelor der Wirtschaftswissenschaften hat. Neid verspürt er angesichts der Gehälter im Fußball oder Prämien im Tennis nicht. „Ich sehe das realistisch. Offenbar rentiert es sich für die Veranstalter, diese Summen auszuzahlen, weil die Aufmerksamkeit groß genug ist. Beim Klettern ist das nicht der Fall.“


Breites Interesse. Dabei erfreut sich Klettern in Österreich großer Beliebtheit. Rund 60.000 Mitglieder in 180 Vereinen zählt der Verband und ist damit einer der größten im Land. In einer Umfrage des Alpenvereins gaben mehr als ein Drittel der 545.042 Mitglieder (Stand: Ende 2017) an, regelmäßig Klettersteige zu gehen, jeweils fast ein Viertel klettert regelmäßig im alpinen Gelände bzw. in der Halle. Schubert selbst ist mit zwölf Jahren über seinen Taufpaten und Cousin zum Sport gekommen und hat dafür Fußball aufgegeben. Der kontinuierlich wachsende Zuspruch überrascht ihn nicht. „Klettern wird nie langweilig. Jeden Tag lernt man einen neuen Griff, eine neue Bewegung oder Felsstruktur kennen“, erklärt er die Faszination und widerspricht dem ersten Eindruck als Einzelsport. „Am Felsen ist man mit Freunden unterwegs, hat gemeinsam Spaß in der Natur.“ Gegenseitige Sicherung verlangt nicht zuletzt Vertrauen.

Neben Kraft und Ausdauer ist auch viel Denkarbeit gefragt, wenn es um die Route geht. Drei Wochen lang hat sich Schubert 2014 auf seine erste 9b-Route in Oliana, Spanien, vorbereitet („ein ganz besonderes Erlebnis“). Nur so lasse sich das Risiko kalkulieren, jeder Zug optimieren und dadurch ein neues Level erreichen. Der Wettkampf in der Halle ist für ihn die andere Art des Nervenkitzels, die Heim-WM aber viel mehr als ein persönliches Karrierehighlight: Es sei die beste Werbung, um zu zeigen, „wie lässig unser Sport ist“.

Medaillenjagd

Vorstieg: Frauen am Samstag, Männer am Sonntag (je 18.55 Uhr).
Speed:
Do, 13. September (20 Uhr).
Paraclimb: Fr, 14. September (17.40h).
Bouldern: Frauen: Fr, 14. September, Männer: Sa, 15. September (je 18.55h).
Kombination: So, 16. September, Frauen (10.45 Uhr), Männer (14.25 Uhr).

ORF Sport plus, Eurosport, live.

2000

WM-Aufbau

Griffe stehen für die 76 WM-Routen in Innsbruck zur Verfügung. Die sechs Kletterwände bestehen aus 90.000 Einzelteilen und wiegen 350 Tonnen. Allein die Vorstiegwand ist 15 Meter hoch und hängt bis zu 10,25 Meter über.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2018)

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