Das Wettschwitzen im Peloton bei der Tour

Schattenplätze waren bei den Fans auf der 16. Etappe heiß begehrt.
Schattenplätze waren bei den Fans auf der 16. Etappe heiß begehrt. (c) APA/AFP/JEFF PACHOUD
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Die Hitzewelle hat die Tour de France im Griff. Im Gegensatz zu früher werden Menge und Komposition der Getränke genau kalkuliert. Die Bergetappen versprechen etwas Abkühlung

Nîmes/Wien. Bei der Tour de France wird geschwitzt. Was angesichts der extremen Belastungen über drei Wochen keine Überraschung ist, wird durch die aktuelle Hitzewelle in Europa noch einmal verschärft. So kletterte das Thermometer am zweiten und letzten Ruhetag am Montag in Nîmes auf fast 40 Grad Celsius. Da hatten die Profis noch den Vorteil sich in Innenräumen oder im Schatten aufzuhalten, im Gegensatz zur folgenden Flachetappe rund um die Stadt mit ihren römischen Sehenswürdigkeiten. „Alles, was über der Körpertemperatur ist, ist nicht gesund. Aber 3500 km im Juli durch Frankreich zu fahren, ist sicher auch nicht gesund. Die Kombination ist nicht einfach“, sagte Altstar André Greipel.

Ein bis eineinhalb Liter Flüssigkeit pro Rennstunde nehmen die Profis zu sich, über den gesamten Tag kommen sie auf gut zehn Liter. „Die Hitze ist zusätzlicher Stress für den Körper, weil die Thermoregulation nicht mehr richtig funktioniert“, erklärte Teamarzt Jan-Niklas Droste vom Bora-Rennstall um Patrick Konrad und den Gesamtsechsten Emanuel Buchmann. Für das deutsche Leichtgewicht (62 kg bei 1,81 m) könnten die hohen Temperaturen gar zum Vorteil werden, er fürchtet sie jedenfalls nicht. „Lieber so ein Wetter als Kälte“, betonte Buchmann. Die Kombination aus wenig Fett, starker Durchblutung und Dehydrierung führt übrigens zu jenem starken Hervortreten der Venen in den Beinen, das auf Fotos immer wieder Fans schockiert.

Iso-Drinks und Kühlpacks

Noch vor wenigen Jahren sorgte der frühere Teamarzt Roger Palfreeman vom damaligen Sky-Rennstall für Aufregung, als er propagierte, dass Chris Froome durch „funktionale Dehydration“ (höherer Gewichts- als Leistungsverlust) 47 Sekunden hinauf nach Alpe d'Huez gewinnen könne.

Dafür solle man Fahrer zudem im Unklaren über den Status der (De)Hydrierung lassen. Stattdessen setzen die Teams auf das genaue Gegenteil: genaue Messungen und individuelle Trinkpläne. An heißen Tagen wie diesen werden vor allem hypotonische Drinks mit wenig Zucker gereicht, damit große Mengen aufgenommen werden können ohne zu viele Kohlenhydrate zuzuführen und Verdauungsbeschwerden hervorzurufen. Zusätzlich kommen Spezial-Sonnencremes und Kühlpacks zum Einsatz.

Alkohol ist freilich nicht nur an heißen Tagen ein Tabu – Anstoßen nach dem Etappensieg ausgenommen. In früheren Jahren war das noch mehr Gewohnheit denn Ausnahme. Vom Tour-Sieger 1904, Henri Cornet, ist beispielsweise überliefert, dass er elf Liter heiße Schokolade, vier Liter Tee, Champagner und 1,5 kg Milchreis pro Tag zu sich nahm. Damals saßen die Teilnehmer allerdings auch keine fünf, sondern bis zu 18 Stunden pro Tag im Sattel.

Abkühlung in den Bergen

Die herrschenden Extrembedingungen kennen die Fahrer von Vuelta oder Tour Down Under, trotzdem werden sich die ohnehin bereits angezehrten Kraftreserven in der letzten Woche der Rundfahrt noch einmal verknappen. „Natürlich macht das jedem zu schaffen und man muss aufpassen“, befand Steven Krujswijk und auch Jakob Fuglsang (der nach einem Sturz am Dienstag aufgeben musste) war überzeugt: „Jeder kleine Fehler kann einen hohen Preis kosten.“

Kühler, wenn auch nicht weniger schweißtreibend, versprechen die kommenden Bergetappen in den Alpen zu werden: Angeführt vom Col d'Iseran, mit 2770 m Höhe das Dach der diesjährigen Tour, warten bis Samstag acht der zehn höchsten Wertungen. Schon beim Anstieg auf den Tourmalet und im Zeitfahren vergangene Woche hat Titelverteidiger Geraint Thomas verloren und die Temperaturen mitverantwortlich dafür gemacht. Nun relativierte der Waliser: „Jeder hat Auf und Abs. Die Hitze ist für alle gleich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2019)

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