Wie China die Welt gestalten will

(c) EPA (Julian Abram Wainwright)
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Der Politologe Mark Leonard hatte Einblick in Pekings Denkfabriken.

Die Presse: Sie haben mehrere Monate in chinesischen Denkfabriken zugebracht. Welche Weltordnung schwebt Chinas Strategen vor?

Mark Leonard: Derzeit will China vor allem seine eigenen Interessen fördern und sicherstellen, dass es weiter wächst. Doch es gibt auch Konzepte, die darüber hinausgehen. Die chinesische Führung glaubt an das, was sie „umfassende nationale Macht“ nennt. China will zwar auf globalen Märkten handeln, gleichzeitig aber eine hohe Kontrolle über seine Wirtschaft beibehalten. China will ein System, in dem die Souveränität der Staaten nicht angetastet wird. In der UNO und in Organisationen, die es selbst schafft, baut China Barrieren gegen die Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder und gegen westliche Projekte, die Demokratie fördern sollen.

Ist das chinesische Modell eines diktatorischen Kapitalismus langfristig lebensfähig?

Leonard: Ich habe keine Kristallkugel. Feststeht: Die meisten Prognosen des Westens waren bisher falsch. Viele haben vorhergesagt, China werde dem Westen ähnlicher, auch demokratischer, je reicher es werde. Das Gegenteil ist eingetreten. Je entwickelter China wird, desto selbstbewusster tritt es auf. China schuf eine andere Form des Kapitalismus als Europa und Amerika, ein anderes politisches Modell. Bis jetzt war das chinesische Modell enorm erfolgreich. Und so lange es erfolgreich ist, wird es auch für andere Länder attraktiv sein.

Den Soft-Power-Appeal müssen Sie mir erklären. Wie kann ein Modell anziehend sein, das Bürgerrechte derart missachtet?

Leonard: Das chinesische Modell wird nicht für entwickelte demokratische Länder wie Österreich attraktiv sein. Aber Chinas Unabhängigkeit von westlichem Druck und sein wirtschaftlicher Erfolg sind attraktiv für Länder mit niedrigerem Einkommen, von Afrika über Nahost und Zentralasien bis nach Lateinamerika. Besonders verlockend ist für manche Eliten der Gedanke, dass sie nicht demokratisch werden müssen, um wirtschaftlich Erfolg zu haben. Auch Bürger, die sich vor westlichem Imperialismus schrecken, spricht das Modell an.

Welche Risken birgt Chinas Aufstieg?

Leonard: Für den Westen ist das größte Risiko, dass China die liberale Weltordnung auftrennt. Die UNO etwa wurde ein mächtiger Verstärker für die Weltsicht Chinas. Vor zehn Jahren gewannen Europäer ungefähr 80 Prozent der Abstimmungen über Menschenrechte, jetzt sind es nur noch 50 Prozent. China ist sehr geschickt, den westlichen Druck auf andere Regime abzufangen.

Und wo sieht die chinesische Führung die größten Herausforderungen?

Leonard: Die KP-Führung fürchtet innenpolitische Instabilität, die zu ihrem Sturz führen könnte. Deswegen hat sie Angst vor einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, vor extremer sozialer Ungleichheit, vor Sezessionismus, vor Umweltproblemen. Und das Regime macht sich Sorgen, dass sich andere Länder zusammenrotten, weil sie Chinas Aufstieg eindämmen wollen.

Amerika, Japan und andere sehen Chinas Aufstieg ja tatsächlich als Bedrohung.

Leonard: Das stimmt. Andererseits sichern sich die Amerikaner ab. Die USA haben zugelassen, dass die chinesische und die amerikanische Wirtschaft so miteinander verwoben sind, dass die USA ein Interesse an Chinas Erfolg haben. Genau deshalb lässt China sich auch in regionale und internationale Organisationen integrieren.

In Ihrem Buch erwähnen Sie einen chinesischen Aufsatz mit dem Titel „Wie kann man den Niedergang der USA managen?“. Betrachtet China die USA als absteigende Supermacht?

Leonard: Die Chinesen betrachten die USA als die einzige Supermacht. Sie sind besessen von den USA. Aber sie sehen, wie sich die USA durch den Irak-Krieg selbst geschwächt und von Asien abgelenkt haben. Es gibt eine Debatte in China, ob die USA auf dem absteigenden Ast sind. Doch damit wird nur ein Diskurs übernommen, der in den USA selbst geführt wird. China schätzt die Macht der USA sehr realistisch ein.

Wo sieht China die Schwachpunkte der USA?

Leonard: Chinesische Strategen sehen die Schwäche Amerikas in dessen übermäßiger Abhängigkeit von militärischer Macht, in Amerikas Desinteresse an multilateralen Organisationen und im Unilateralismus, der die Beziehungen zu den Verbündeten der USA unterminiert hat. Sie glauben, dass Amerika zu sehr auf den Nahen Osten fokussiert. Und sie sehen Amerikas wirtschaftliche Abhängigkeit von China und anderen Ländern, und wie dies die Handlungsfreiheit der USA einschränkt.

China war seit Deng Xiaoping bemüht, möglichst leise und lächelnd aufzusteigen. Gibt es in China auch Kräfte, die lauter und bestimmter die Weltbühne erobern wollen?

Leonard: Ja, ich nenne sie „Neocomms“, weil sie nach neuen Wegen suchen, um alte maoistische Ziele umzusetzen und die westliche Hegemonie zu brechen. Sie wollen die USA nicht beschwichtigen, sondern ihnen entgegentreten. Sie wollen Militärressourcen aufbauen, aber auch sie sind realistisch.

Was bedeuten dem Regime in Peking die Olympischen Spiele?

Leonard: Die Spiele werden zurecht oft als eine gigantische Coming-Out-Party beschrieben. Sie bieten die Möglichkeit, China den eigenen Bürgern und auch dem Rest der Welt als neue Macht zu präsentieren.


Dabei ist der KP offenbar wichtiger, dass die Botschaft beim eigenen Volk ankommt. Um internationale Kritik schert sie sich ja weniger.

Leonard: Die Führung in Peking sorgt sich sehr, wie China in der Welt wahrgenommen wird. Aber ihre oberste Priorität ist es, an der Macht zu bleiben. ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2008)

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