Dominic Thiem gilt für viele als der härteste Arbeiter auf der Tour, bei den ATP-Finals in London bestätigt sich dieser Eindruck. Schlägt Thiem heute David Goffin, steht er im Halbfinale.
Auch in der Vorbereitung auf eines der wichtigsten Matches seiner bisherigen Karriere schonte sich Dominic Thiem nicht. Zwei Stunden schlug der Niederösterreicher Donnerstagnachmittag vor den Augen seiner Freundin, Kristina Mladenovic, zahllose Bälle, er legte gesondert Wert auf schnelle Schläge entlang der Linie. Als Sparringpartner stellten sich der junge Serbe Miomir Kecmanović sowie Masters-Ersatzmann Sam Querrey zur Verfügung.
Beobachter könnten den Eindruck gewinnen, Thiem investiere zu viel Kraft in solche Trainingseinheiten, speziell wenn tags darauf ein wichtiges und gewiss anstrengendes Match ansteht. Doch der 24-Jährige trainiert unter der Obhut von Langzeitcoach Günter Bresnik nie anders, nie mit weniger Intensität, im Gegenteil. In der turnierfreien Zeit schindet sich der Rechtshänder noch mehr für den Erfolg, steht fünf, manchmal sechs Stunden täglich auf dem Platz. Bresniks Credo: „Ich will kein Weichei, Dominic muss das aushalten. Wann, wenn nicht in jungen Jahren.“ Die „New York Times“ adelte Thiem vergangenes Jahr in einem Artikel als den am härtesten arbeitenden Mann auf der Tour, tatsächlich spult wohl nur der Spanier Rafael Nadal ein vergleichbares Programm ab.
Historische Chance
Für Bresnik ist dieser Zugang zum Sport alternativlos. Nur wer Schläge permanent wiederholt, sich und seinen Körper unentwegt an die Grenzen des Machbaren bringt, wird der Perfektion näherkommen. Aus demselben Grund hält der 56-Jährige auch rein gar nichts vom immer wiederkehrenden Vorwurf, sein Schützling sei in manchen Phasen der Saison überspielt. Thiem, diesen Standpunkt vertritt Bresnik vehement, brauche so viele Matches wie möglich. Zu wenige, wie etwa in den vergangenen Wochen, seien mit ein Grund für eine schlechte Form. Im heutigen dritten und letzten Gruppenspiel der World Tour Finals (15 Uhr, live, Sky) wird sich zeigen, wie es tatsächlich um Thiems spielerische wie körperliche Verfassung bestellt ist. Mit einem Sieg gegen den Belgier David Goffin würde sich der 24-Jährige für das Halbfinale qualifizieren. Etwas, das dem ehemaligen Weltranglistenersten Thomas Muster bei vier Teilnahmen nie gelungen ist.
Thiem ist sich der Chance und der Bedeutung dieses Duells bewusst, bezeichnete es als „eines der wichtigsten Spiele meiner Karriere“. Ein Halbfinale in London ließe sich durchaus mit einem Halbfinale bei einem Grand Slam vergleichen, betonte der Weltranglistenvierte. „Vielleicht ist es sogar noch wertvoller, weil man nur gegen Top-Ten-Spieler spielt.“ Die heutige Aufgabe gestaltet sich allerdings schon auf dem Papier äußerst kompliziert. Sieben von zehn Vergleichen mit Goffin hat Thiem verloren, gegen keinen anderen Spieler auf der Tour musste er mehr Niederlagen einstecken.
Thiem und Goffin haben keinerlei spielerische Geheimnisse voreinander, Überraschungseffekte werden in diesem Match ausbleiben. Der Weltranglistenachte ist das Gegenteil einer Wundertüte. Thiem weiß, was er bekommt. „Goffin ist läuferisch extrem gut. Und es gibt keinen Spieler, der sich bei hohem Tempo des Gegners derart gut verteidigen kann“, erklärt Bresnik. Thiem sagt: „Ich muss ihm wehtun, bevor er mir wehtut.“
AUF EINEN BLICK
Dominic Thiem kann heute (15 Uhr, live, Sky) mit einem Sieg gegen den Belgier David Goffin bei seinem zweiten Antritt erstmals das Halbfinale bei den World Tour Finals der acht besten Spieler des Jahres erreichen. Vor Thiem ist mit Oliver Marach (mit dem Kroaten Mate Pavić) ein zweiter Österreicher als nachgerückter Ersatz im Doppel im Einsatz.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2017)