Thiem vs. Zverev: Das Potenzial für einen Klassiker

Thiem und Zverev verstehen sich abseits des Platzes sehr gut, „tiefe Freundschaften“ entstehen auf der Tour aber nicht.
Thiem und Zverev verstehen sich abseits des Platzes sehr gut, „tiefe Freundschaften“ entstehen auf der Tour aber nicht. (c) APA/AFP/JAVIER SORIANO
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Dominic Thiem und Alexander Zverev gehören Gegenwart und Zukunft, bei den French Open kommt es im heutigen Viertelfinale zum erhofften Showdown – mit einem Vorteil für Thiem.

Paris/Wien. Es gab Zeiten, da war es Dominic Thiem ausgesprochen wichtig, keinen jüngeren Spieler in der Weltrangliste vor sich zu haben. Der Niederösterreicher legte explizit Wert darauf, der Beste der jungen Garde zu sein, gewiss auch mit dem Hintergedanken, in der Post-Federer-Nadal-Ära die Pole Position innezuhaben. Thiem war zunächst der jüngste Spieler in den Top 50, später in den Top 20, letztlich auch in den Top 10 – bis Alexander Zverev kam. Zverev ist die deutsche Antwort auf Dominic Thiem, er wird in der Heimat seit seinen Jugendtagen als Jahrhunderttalent gehandelt, wobei beide Spieler eigentlich mehr Arbeiter denn Talent sind. Auf Thiem trifft dies noch mehr zu.

Der Aufstieg des gebürtigen Hamburgers war im Vergleich zum eher stetig verlaufenen von Thiem kometenhaft. Als 19-Jähriger besiegte er im Finale von St. Petersburg Stan Wawrinka und gewann seinen ersten von bislang acht Titeln auf der Tour (Vergleich mit Thiem siehe Profil). Am 14. August 2017 überholte Zverev seinen österreichischen Konkurrenten erstmals in der Weltrangliste, mittlerweile beträgt der Vorsprung des Deutschen gewaltige 2260 Punkte. Zum Vergleich: Für einen Grand-Slam-Sieg gibt es 2000 Punkte.

Während Thiem in der Weltrangliste als derzeit Achter auch noch einen beträchtlichen Rückstand auf Marin Čilić, Grigor Dimitrow und Juan Martín del Potro aufweist, hat Zverev als Dritter tatsächlich nur noch die Altstars Rafael Nadal und Roger Federer vor sich. Auch deshalb wird Zverev als logische Nummer eins der nahen Zukunft gehandelt, immer vorausgesetzt, er bleibt verletzungsfrei. Del Potro, ein ähnlicher Typ, war den Belastungen des Spitzensports über einen längeren Zeitraum nicht gewachsen, weswegen der Argentinier nie ernsthaft in den Kampf um die Spitzenposition eingreifen konnte.

Zverev, noch sieht man es dem 1,98-Meter-Schlacks nur bedingt an, hat in den vergangenen eineinhalb Jahren physisch enorme Fortschritte gemacht. Unter der Obhut des britischen Athletiktrainers Jez Green, der einst auch Andy Murray stählte, ist aus dem drahtigen Teenager ein junger Mann geworden, der bei den French Open erstmals auch bei einem Grand-Slam-Turnier und im Best-of-five-Modus funktioniert. Dreimal in Folge hat Zverev in Paris einen 1:2-Satzrückstand in einen Fünfsatzerfolg umgewandelt – ein Produkt konsequenter Arbeit.

Drei Stunden täglich verbringt der in Monte Carlo lebende Fitnessfreak für gewöhnlich in der Kraftkammer. Seine Lieblingsbeschäftigung: Gewichtheben. „Wir versuchen, Muskeln aufzubauen, die man immer noch nicht sehen kann, aber wir kommen langsam hin“, sagte er vor wenigen Wochen mit einem Schmunzeln. Tatsächlich hat Zverev in den vergangenen fünf Jahren durch behutsame Aufbauarbeit bereits 15 Kilogramm an Muskelmasse zugelegt und dabei nichts an der für seine Körpergröße erstaunlich guten Beweglichkeit eingebüßt.

Spielerisch war Zverev schon seit geraumer Zeit Weltklasse, nun ist er auch körperlich in neue Sphären vorgestoßen. Nur Nadal und Thiem dürften diesbezüglich noch Vorteile genießen, darin liegt auch eine große Chance des ÖTV-Stars im heutigen Viertelfinalduell (14 Uhr, live ORF Sport Plus). Je länger das Match dauert, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Thiem den Platz als Sieger verlässt.

Ob das Duell zwischen Zverev und Thiem einmal einen ähnlichen Kultstatus erreicht wie der Vergleich von Federer mit Nadal (38 Matches) darf zwar bezweifelt werden, es hat aber gewiss eines: das Potenzial für einen Klassiker.

Vergleich Thiem – Zverev

Head-to-Head: 4:2-Siege Thiem

Letztes Duell: 6:4, 6:4 Zverev (Madrid).

Alter bei 1. Turniersieg: 21 Jahre, acht Monate (Thiem in Nizza 2015).
19 Jahre und fünf Monate (Zverev in St. Petersburg 2016)

Turniersiege: 10 Thiem (keiner auf ATP-1000-Level), 8 Zverev (drei „1000“).

Erstmals Top 10: Thiem am 6. Juni 2016 (22 Jahre, neun Monate). Zverev am 22. Mai 2017 (20 Jahre, ein Monat).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2018)

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