Jürgen Melzer: Der letzte Return

Will einmal noch die Wiener Stadthalle hinter sich versammeln: Tennis-Altmeister Jürgen Melzer.
Will einmal noch die Wiener Stadthalle hinter sich versammeln: Tennis-Altmeister Jürgen Melzer.(c) GEORG HOCHMUTH / APA / picturede (GEORG HOCHMUTH)
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In Wien, wo er einst sein erstes ATP-Match gespielt hat, feiert der 37-jährige Jürgen Melzer nun seinen Abschied von der großen Tennisbühne. „Es war eine wunderschöne Karriere, und es ist Zeit, sie zu beenden.“

Roger Federer, Novak Djoković, ja sogar Andre Agassi, auch Dominic Thiem: Alle haben sie auf dem Tennisplatz schon den Kürzeren gegen Jürgen Melzer gezogen. Es sind Episoden einer 20-jährigen Profikarriere, mitunter liegen sie weit zurück. Der bisher letzte große Coup des Linkshänders aus Deutsch-Wagram hätte für den heimischen Tennissport aber bedeutsamer nicht sein können. Im April, nach seiner Ellbogenoperation und neunmonatigen Zwangspause, fährt Melzer als Joker mit zum Davis Cup nach Russland, macht dort sensationell zwei Punkte und führt Österreich so ins Weltgruppen-Play-off. Dass Thiem und Co. später den Aufstieg fixieren konnten, Österreich 2019 also wieder in der Weltelite antreten wird, ist letztlich dem rot-weiß-roten Rekordspieler zu verdanken. Auch mit 37 Jahren ist Melzer noch ohne Weiteres für Siege gegen Spieler aus den Top 100 gut.

Nun aber zieht er einen Schlussstrich, der Ort dafür könnte besser nicht gewählt sein. Dank einer Wildcard gibt der Niederösterreicher bei den Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle seine Abschiedsvorstellung. Hier hat er 1999 als 18-Jähriger seine erste Partie auf ATP-Level bestritten (7:6 [5], 2:6, 6:3 gegen Lars Burgsmüller), hier hat er zwei seiner insgesamt fünf Einzeltitel gewonnen (2009, 2010). „Ich wollte meine Einzelkarriere immer in Wien beenden. Ich spiele noch auf einem Niveau, mit dem ich mich traue, hier aufzutreten. Wer weiß, ob das nächstes Jahr noch so ist. Ich merke, dass ich 37 bin, ich merke, dass nicht mehr dieses Feuer brennt.“

Melzer, nach zahlreichen Comebacks aktuell auf Platz425 der Weltrangliste, müsste sich fernab der großen ATP-Turniere über die Challenger-Tour wieder nach oben spielen. Der Aufwand wäre enorm, seit ein paar Monaten plagt ihn zudem eine Fersenverletzung („Es kommt halt mittlerweile immer irgendetwas auf“). Außerdem haben sich beim Familienvater – Sohn Noel ist eineinhalb – die Prioritäten geändert. „Man muss irgendwann auch die Kirche im Dorf lassen und sagen: ,Es war eine wunderschöne Einzelkarriere, und es ist Zeit, sie zu beenden.‘“

Tennis gelebt. Jahrelang war es Melzer, der Österreichs Fahne in der Tenniswelt hochgehalten hat. Von 2008 bis 2014 war er die rot-weiß-rote Nummer eins, 2011 stand er für gut drei Monate in den Top Ten der Welt (Karrierehoch: Platz acht). „Als Kind sagt immer jeder: ,Ich will Nummer eins werden.‘ Irgendwann kommt man dann drauf: Okay, das ist vielleicht ein bisschen unrealistisch. Top Ten aber, habe ich erkannt, ist wirklich drinnen.“ Dafür galt es, Opfer zu bringen. „Ich habe alles dem Sport untergeordnet, habe Tennis gegessen, geschlafen, gelebt. Sonst kommst du dort nicht hin.“ Nachsatz: „Das habe habe ich vielleicht drei, vier Jahre zu spät kapiert. Aber das ist auch das Schöne an der Erfahrung: Dass du sie mit dem Älterwerden sammelst.“

Melzer zählt nicht nur zum exklusiven Kreis an Spielern, die gleichzeitig im Einzel und im Doppel in den Top Ten gestanden sind. Er hält auch auf allen Belägen positive Bilanzen, hat sich auf Sand wie auf Rasen (Wimbledon-Juniorensieger 1999) wohlgefühlt. „Ich bin so ausgebildet worden, da kann ich mich bei meinen Trainern bedanken.“ Sein bestes Tennis hat er aber auf den Sandplätzen von Paris gespielt. Die stärkste seiner bisher fast 700 Profipartien sei jene in Runde drei der French Open 2010 gewesen, ein 6:4, 6:0, 7:6 (1) gegen David Ferrer. „Da habe ich nicht viel falsch gemacht.“ Wenige Tage später zog Melzer mit einem einem Fünfsatzsieg (nach 0:2-Satzrückstand) über Djoković ins Halbfinale ein. Erst dort war gegen Rafael Nadal Endstation.

In der heimischen Bundesliga wird man Melzer das eine oder andere Mal noch ein Einzel spielen sehen. Im Doppel, bei dem er bei zwei Grand-Slam-Titeln hält (Wimbledon 2010, US Open 2011), geht es ohnehin weiter. In Wien spielt er mit Philipp Oswald, gern würde das Duo 2019 gemeinsam bestreiten, viel hängt vom Ranking und dem Abschneiden in der Stadthalle ab. Was die Soloauftritte angeht, ist Wien aber „definitiv ein Schlussstrich“, sagt Melzer. „Meine ambitionierte Einzelkarriere geht nächste Woche zu Ende.“ Es heißt, Turnierdirektor Herwig Straka habe sich für den Altmeister eine Überraschung einfallen lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2018)

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