Die fabelhafte Tenniswelt der Amélie

Auf den Tribünen des Melbourne Park hat Am´elie Mauresmo sowohl ihre beiden Kinder als auch Schützling Lucas Pouille im Blick.
Auf den Tribünen des Melbourne Park hat Am´elie Mauresmo sowohl ihre beiden Kinder als auch Schützling Lucas Pouille im Blick.APA/AFP/WILLIAM WEST
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Lucas Pouille, 24, vertraut als einziger Top-100-Spieler auf eine Trainerin, die Zusammenarbeit mit der zweifachen Grand-Slam-Siegerin Amélie Mauresmo trägt schon in Australien Früchte. Pouille fordert im Halbfinale Novak Djoković.

Melbourne/Wien. Nach Rafael Nadal hat bei den Australian Open auch Novak Djoković, der zweite noch im Bewerb verbliebene Superstar, das Halbfinale des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres erreicht. Der Serbe profitierte am Mittwoch von der Aufgabe des völlig entkräfteten Japaners Kei Nishikori, der beim Stand von 1:6, 1:4 zum Shakehands schritt. Nishikori musste in den vier Matches zuvor drei Mal über die volle Distanz von fünf Sätzen gehen, stand dabei rund 14 Stunden auf dem Platz und hatte dem Serben nichts mehr entgegenzusetzen.

Djoković trifft im Halbfinale am Freitag auf den Franzosen Lucas Pouille, der sich nach 3:02 Stunden Spielzeit mit 7:6 (4), 6:3, 6:7, (2), 6:4 gegen den aufschlagstarken Kanadier Milos Raonic behauptet hat. Dass der 24-jährige Pouille in Down Under um sein erstes Major-Finale spielt, hat vor eineinhalb Wochen noch kaum jemand ernsthaft in Betracht gezogen. Bei seinen fünf bisherigen Auftritten im Melbourne Park hat der Rechtshänder aus der nordfranzösischen Gemeinde Grande-Synthe kein einziges Mal die zweite Runde erreicht, zudem hatte Pouille 2018 einen Absturz zu beklagen. Nach einem starken Frühjahr mit drei Finalteilnahmen (ein Titel in Montpellier) und dem erstmaligen Vorstoß in die Top Ten im März hagelte es Enttäuschungen und Erstrundenniederlagen.

Die Freude verloren

In der Weltrangliste fiel er bis auf Rang 32 zurück, mit jeder Niederlage wurde das Selbstvertrauen geringer, die Zweifel jedoch größer. „Ich habe die Zeit auf dem Tennisplatz nicht wirklich genossen. Du verlierst ein Match, dann ein zweites, und irgendwann wird es hart zurückzukommen.“ Tatsächlich hatte der Wien-Sieger von 2017 „erstmals in 16 Jahren“ die Freude am Spiel verloren. Pouille dachte nach, über sich, seine Karriere und Ambitionen. „Ich sagte mir: Du hast vielleicht noch zehn Jahre vor dir. Willst du sie so wie derzeit verbringen oder versuchen, die Zeit zu genießen, um Titel zu spielen, auf der größten Bühne gegen die Besten der Welt? Dann musst du deinen Hintern etwas bewegen.“

Der Wunsch nach Veränderung wurde immer konkreter, er brachte die Trennung von Langzeitcoach Emmanuel Planque mit sich. Anfang Dezember engagierte Pouille Amélie Mauresmo als Trainerin. Die Französin ist keine Unbekannte auf der Herrentour, von 2014 bis 2016 hat sie Andy Murray gecoacht. Der Schotte wurde für die Bestellung einer Trainerin, auch von Spielerkollegen, zum Teil belächelt, „aber die Zeiten dürften sich zum Glück geändert haben“, erklärte Pouille, der von der Zusammenarbeit mit der zweifachen Grand-Slam-Siegerin umgehend profitierte. Sie, Mauresmo, verstehe es, beim Training die richtige Balance zwischen harter Arbeit und Spaß zu finden, verstehe unheimlich viel von Technik und Taktik. Die 39-Jährige ist selbst immer noch topfit, läuft regelmäßig Marathons und sei „unerbittlich – das gefällt mir“, erklärte Pouille, der in der Vorbereitung auf die neue Saison einige Kilo abgenommen hatte.

„Sie weiß alles über Tennis“

Pouille ist aktuell der einzige Top-100-Spieler, der von einer Frau trainiert wird, die nicht aus dessen familiärem Umfeld kommt. Der französische Daviscup-Spieler beantwortet dieser Tage in Melbourne zwar mit Ruhe und Gelassenheit sämtliche Fragen zu seiner Zusammenarbeit mit Mauresmo, sagt aber: „Es geht nicht darum, ein Mann oder eine Frau zu sein. Du musst einfach wissen, was du tust, und Amélie tut das. Sie weiß alles über Tennis.“

Für den Australier Todd Woodbridge, in den Neunzigerjahren der beste Doppelspieler der Welt, steht eines zweifelsfrei fest: „Amélie hat Zugang zu Pouilles Kopf gefunden. Ich weiß nicht, worüber sie sprechen, aber er hat begonnen, an sich und seine Fähigkeiten zu glauben. Das ist der große Unterschied, wenn du einen Champion in deinem Betreuerstab hast.“

AUF EINEN BLICK

Bei den Herren fordert Jungstar Stefanos Tstisipas (GRE/14) heute (9.30 Uhr, live, Eurosport, Servus TV) im ersten Halbfinale Rafael Nadal (ESP/2). Am Freitag kommt es zum Aufeinandertreffen zwischen Novak Djoković (SRB/1) und Lucas Pouille (FRA/28).

Im Damen-Halbfinale trifft Naomi Ōsaka (JPN/4) auf Karolína Plíšková (CZE/7) sowie Petra Kvitová (CZE/8) auf Danielle Collins (USA). Plíšková drehte im Viertelfinale gegen Serena Williams ein 6:4-4:6-1:5 noch in ein 7:5 im dritten Satz um, Williams vergab vier Matchbälle und muss weiter auf ihren 24. Grand-Slam-Titel warten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2019)

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