Die Gratwanderung der Streif

ALPINE SKIING - FIS WC Kitzbuehel
ALPINE SKIING - FIS WC Kitzbuehel(c) GEPA pictures/ Mario Kneisl
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Thomas Dreßen siegte im Vorjahr auf der Streif, heuer ist er nur Zuschauer. Verletzungen sind für den Deutschen Berufsrisiko, er selbst sieht sich als „Skiverrückten“.

Perfektes Winterwetter herrschte auch am Mittwoch in Kitzbühel, die Streif erstrahlte über der Stadt im Sonnenschein. Noch herrscht im Tiroler Skiort die Ruhe vor dem Sturm, beim Juniorenrennen durften sich am Ganslernhang die potenziellen Skistars von morgen messen. Die weltbesten Abfahrer wagen sich erst am Donnerstag zum zweiten Abfahrtstraining (11.30 Uhr live ORF eins) auf die Piste.

Pickelhart und unruhig präsentierte sich die Streif beim ersten Kennenlernen und untermauerte damit ihren Ruf als härteste Abfahrt im gesamten Skizirkus. Der Norweger Kjetil Jansrud blieb im Steilhang mit der Hand hängen und brach sich zwei Finger, sein Antreten am Samstag ist ausgeschlossen. „Streif 1, Jansrud 0“, betitelte er sein Foto aus dem Krankenhaus.

Die Pein, zuschauen zu müssen

Ein weiterer prominenter Name, der bei der Abfahrt fehlen wird, ist Thomas Dreßen. Der Bayer hatte im Vorjahr für den ersten deutschen Streif-Sieg seit 39 Jahren gesorgt. Mit Kreuzbandriss und Schulterverletzung nach einem Sturz in Beaver Creek findet er sich heuer jedoch nur in die Zuschauerrolle wieder. „Es hat schon ein wenig wehgetan in der Magengrube, als ich hinaufgeschaut habe. Natürlich würde ich am liebsten selbst im Starthaus stehen“, schilderte der 25-Jährige, der seine Reha in Bad Wiessee für die Kitz-Visite unterbrach. Warum? „Weil ich nicht nur Skifahrer, sondern ein Skiverrückter bin.“

Nach Kitzbühel kommt der DSV-Profi „immer gern“, als Legende fühlt er sich trotz des prestigeträchtigen Abfahrtssieges nicht. Auch die Gams-Trophäe hat in seinem Zuhause keinen besonderen Verwahrungsort gefunden, an potenzielle Einbrecher appelliert er: „Alles können sie mir klauen, aber die Gams sollen sie stehen lassen.“

Volles Risiko in Kitzbühel? Unmöglich

Das Prestige der Hahnenkamm-Abfahrt ist das Resultat der besonderen Gratwanderung zwischen Mausefalle und Hausbergkante, wie Dreßen betonte: „An anderen Weltcuporten kämpfst du gegen die anderen, aber hier ist der Grat zwischen runterkommen und zu viel riskieren sehr schmal. Alles voll zu fahren, kann man probieren, aber das geht nur ein von 100 Mal gut.“ Es gehört zum Mythos der Streif, dass Rennläufer hier an Grenzen stoßen – und sie manchmal überschreiten. Jedes Jahr erreichen zehn bis 15 Prozent der Starter nicht das Ziel, die Liste schwerer Stürze – von Patrick Ortlieb über Daniel Albrecht bis Hans Grugger – ist lang. Für Dreßen ist das Teil des Berufsrisikos. „Du hast keinen Puffer um dich. Dein Körper ist deine Karosserie“, erklärte er. Warum man sich trotzdem aus dem Starthaus stürze? „Wir Abfahrer sind positiv Verrückte, zumindest ich.“ Nicht zufällig gebe es kaum einen Topabfahrer ohne Knieverletzung. Ob es pures Glück sei, dass es ihm „mit 25 passiert, da kann mein Körper besser regenerieren“?

Schwere Stürze waren oft genug Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen in Sachen Sicherheit. Optimierungspotenzial sieht Dreßen, selbst überzeugter Airbag-Nutzer, insbesondere bei den Rennanzügen, die dicker und damit schnittfester werden sollen. Die Topfahrer seien sich diesbezüglich allesamt einig gewesen. „Ich möchte wissen, was die FIS dagegen hat“, fragte der Oberbayer, der sich darüber auch schon mit Hannes Reichelt unterhalten hat. Der ÖSV-Routinier hat diesbezüglich unlängst seinen Unmut über den Weltverband kundgetan und wird nicht mehr als Athletensprecher kandidieren.

Für Dreßen steht nach dem Rennwochenende noch eine Schulter-OP an, die Reha verlaufe so weit nach Plan. Im nächsten Jahr möchte er sich selbst wieder der Streif stellen, sein Siegertipp für Samstag: „Matthias Mayer oder Dominik Paris.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2019)

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