Weltmeister mit Siegpremiere: Ein Polizist erobert den Bergisel

Im Anflug auf Innsbruck: Markus Eisenbichler landete erstmals ganz oben auf dem Podest.
Im Anflug auf Innsbruck: Markus Eisenbichler landete erstmals ganz oben auf dem Podest. (c) REUTERS (MICHAEL DALDER)
  • Drucken

Der Deutsche Markus Eisenbichler ist Skisprung-Weltmeister, die ÖSV-Adler gingen leer aus. Im Teambewerb ist eine Medaille aber realistisch.

Mit Gewalt lässt sich kein Bulle melken“, lautete ein markanter Spruch von Wilfried Vettori, dem Mentor des Skisprungtrainers Andreas Felder. Mit Gewalt lässt sich auch kein Umbruch im Adlerteam bewerkstelligen; zu feinfühlig sind die Athleten, zu heikel die Technik der Moderne.

Dass dem Tiroler, 56, seit Saisonbeginn ein eisiger Wind entgegenweht, weil Erfolge ausblieben, steckte er weg. Er wird noch mehr einstecken müssen, denn auch beim Großschanzen-Einzel flogen die Seinen weit am Podest vorbei: Stefan Kraft (130/126,5) war bester ÖSV-Adler als Sechster, Daniel Huber (11.), Philipp Aschenwald (13.), Michael Hayböck (14.) und Manuel Fettner (24.) schafften es in Innsbruck immerhin ins Finale vor 12.400 Zuschauern.

Gold eroberte überraschend der Deutsche Markus Eisenbichler (131,5/135,5) – der Schützling des Vorarlbergers Werner Schuster springt seit 2011 im Weltcup, gewann aber noch keine Konkurrenz. Er war fünfmal Zweiter, viermal Dritter – aber bei der WM schlug dem Siegsdorfer Polizisten die große Stunde. Silber glänzt am Hals seines Landsmannes Karl Geiger, zu Bronze sprang sensationell der Schweizer Killian Peier.

Bereits heute, ab 14.45 Uhr, wartet auf dem Bergisel das Teamspringen. Da stehen die Chancen besser, dass Felder eine Medaille feiern kann. Hätte man alle Einzel-Resultate zusammengezählt, hätten seine Springer tatsächlich Gold gewonnen . . .


Fast im Rollstuhl gelandet. Dass Eisenbichler überhaupt noch abspringen kann, gleicht einem Märchen. Denn bei einem Trainingssturz 2012 brach sich der 27-Jährige den dritten Brustwirbel, der vierte bis siebte waren angebrochen. Ein Monat lang musste der Springer das Bett hüten, jede Anstrengung vermeiden – die Ärzte waren sich nicht einig darüber, ob er ohne Rollstuhl auskommen werde. „Ich hatte damals viel Zeit zum Nachdenken. Skispringen ist einfach ein gefährlicher Sport und mir war klar, wenn ich weitermache, dann richtig.“

Schuster, 49, der mit Saisonende als Deutschlands Cheftrainer abdanken und nach Stams zurückkehren wird, verlieh ihm Mut, Auftreten und Glauben an die eigene Stärke. Eisenbichler wusste, wem er zu danken hatte. Denn als Weltmeister gilt er endgültig nicht mehr als ewiges Talent.


Versagensängste der Adler. Felder hat in seinen mehr als 25 Jahren als Trainer Skispringerinnen und -springer zu Erfolgen geführt, nun absolviert er seine dritte Heim-WM. Vor dem enttäuschenden Einzel sprach er offen über die schwierige Anfangszeit mit dem Team. Er habe „Versagensängste bei den Athleten bemerkt“. Negative Schlagzeilen und „tiefe Kommentare“ hätten die Stimmung gedämpft, all das führte nebst einer falschen, seit Jahren veralteten Absprungtechnik zum Rückstand. „Sie sind wie leicht geprügelte Hunde zu Wettkämpfen gefahren“, sagt Felder trocken. Daran musste er feilen, dieser Prozess sei noch lange nicht abgeschlossen.

Nur, sagt er selbst, bei diesem Großereignis vor eigenem Publikum müssten die Athleten Verwertbares liefern. Für sich, den Trainer. Das Problem: Sie machen es weiterhin nicht.
Was zur Medaille fehlt. Das Ringen um Antworten, die Suche nach der Selbstverständlichkeit, es sind stets leicht ausgeplauderte Stehsätze. Nur, wer könne sich denn vorstellen, was in einem vorgehe, wenn man da oben auf dem Zitterbalken sitzt? Eine Schanze runterfährt – und: abspringt. Das schreit nicht nur nach Mut, Zuversicht und Vertrauen in das tragende Material (Anzug, Schuh, Ski), es ist die blinde Grundvoraussetzung. Ist das instabil, gibt es knifflige Situationen wegen Wind- oder Anlauffragen, gelingt nichts. Den anderen aber schon. Kraft etwa fehlten zehn Punkte auf das Podest, allen anderen noch viel mehr. Im Einzel ist es zu viel, als Team aber ist eine Medaille möglich.

Der in Axams lebende ÖSV-Coach wirkte weiterhin gelassen, und er ist es auch vor dem Teamspringen, da ist eine Medaille kaum zu verspielen – weil auch allen anderen Nationen ein vierter guter Springer fehlt. Aber, sagt Felder, „es gibt keine Zauberformel, mit der man von einem Tag auf den anderen eine Form herzaubern kann, die nicht da ist. Ich weiß, wie schwer es ist, eine Medaille zu gewinnen, wie viel Glück dazugehört, welche Tagesverfassung oder Verhältnisse.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.