Der Gott ohne Eigenschaften

Sebastian Vettel ist eine Präzisionsmaschine, die alles beherrscht, was die Formel 1 verlangt. Sein Bubencharisma ist die ideale Werbeplattform für Motorsport und Teamsponsor.

Zum Glück hat Sebastian Vettel keine Ähnlichkeit mit Michael Schumacher. Er schummelt nicht wie „Schummel-Schumi“ vor allem zu Beginn seiner Formel-1-Karriere. Auch die Rücksichtslosigkeit Schumachers, die nicht auf die Gesundheit der Kollegen achtet und auch in der heurigen Saison wieder zum Vorschein gekommen ist, ist Vettel vollkommen fremd. Schumacher war der verbissene Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, der alles und mehr dafür tat, nach oben zu kommen, die totale Hingabe verschaffte ihm weltweit Respekt. Sobald dieser intensiv genug war, verwechselten ihn viele Fans und wohl auch Schumacher selbst mit Zuneigung.

Schumacher ist die Verkörperung des brutalen, effizienten Deutschen, von unersättlichem Erfolgshunger getrieben betreibt er technische Geschicklichkeit als einziges Lebensthema. Die zweite, nachhaltig erfolglose Karriere legt – und hier taucht eine kleine Parallele zu Thomas Muster auf – den Verdacht nahe, dass bisher eine Beschäftigung für die zweite Lebenshälfte nicht erkannt oder zumindest nicht akzeptiert wurde.

In Deutschland läuft die Exegese derzeit auf die Darstellung der Ähnlichkeiten von Vettel und seinem kantigen Vorgänger hinaus. Tatsächlich sind ganz an der Oberfläche zufällige Übereinstimmungen zu bemerken: Beide Männer haben als Buben im Kart angefangen, beide Familien konnten die Kosten für den Einstieg in die Formel 1 nicht stemmen, worauf Vettel und Schummi von Konzernen, Mercedes und Red Bull, gekauft wurden. Und, no na, sie erkämpften in einem kleinen Team Anerkennung, in einem Spitzenteam die Weltmeistertitel.


Der sportmediale Komplex transportiert Werbeinhalte so effizient und dabei unauffälliger als die Werbebranche. Und er nutzt auch den Wettbewerbsvorteil, dass er Kunden nicht kalt anspricht, sondern in aufgewärmtem, aufnahmebereitem Zustand: als Fan. Die Anlage von Vettels medialer Rolle erzählt daher über die Formel 1 weit mehr als die Tatsache, dass er das beste Vehikel im Feld am schnellsten um die Kurven wuchtet. Der junge Mann ist von einer Schnösellosigkeit, die Platz für beliebig viele Botschaften lässt. Schumacher war sogar für Rasierklingenspots zu kantig.

Vettel ist der unbekümmerte, auf den ersten Blick harmlose, auf den zweiten Blick unaufregende Bursche, mit dem jeder Vater die eigene Tochter ruhigen Gewissens ins Kino schicken würde. Wenn er über sich spricht, sagt er meist „wir“, nicht aus Überheblichkeit, eher im Bemühen, ja nicht goschert zu wirken. Die Humbugwerbebotschaften der Formel 1, vom Energydrink über Automarken bis zu Ölkonzernen, halten der kritischen Würdigung nicht stand. Mit den vom Zirkus propagierten Produkten lässt sich ökologisches oder gar nachhaltiges Leben und Wirtschaften nicht führen. Mit der Vollgasideologie schon gar nicht. Aber darum hat sich der Motorsport noch nie gekümmert.

Schumachers Aggressivität hätte einen Schatten über Team und Sponsor geworfen. Vettel ist der Weltmeister mit dem schwächsten Charisma seit Jahren, welche (Werbe-)Botschaft immer man ihm andichtet, sie muss sich nicht mit einem störenden Charakterzug ihres Testimonials herumschlagen. Die WM-Titel machen ihn zum Gott ohne Eigenschaften. Und sein Olymp ist ein Aludosenberg.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2011)

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