Das deutsche Höchstgericht kippt das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Europaweit bekommen Grundrechtsschützer Rückenwind. Österreich muss die Richtlinie trotzdem umsetzen.
Als vergangenes Jahr das rumänische Höchstgericht die Vorratsdatenspeicherung kippte, blieben internationale Reaktionen weitgehend aus. Seit gestern ist aber Feuer am Dach. Denn nun erklärte auch das deutsche Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der EU-Richtlinie für unrechtmäßig. Ein Urteil, das Bürgerrechtler herbeigesehnt hatten. Sie protestieren seit Jahren dagegen, dass die Kontaktdaten aller Menschen (Wer hat mit wem telefoniert? Wer hat welche Internetseite angesurft?) archiviert werden. Und in Österreich, wo die Vorratsdatenspeicherung noch nicht eingeführt wurde, wird nun wieder einmal der Ruf nach einer Nichtumsetzung der Richtlinie laut.
Doch bei nüchterner Betrachtung bedeutet das deutsche Urteil nicht, dass sich Österreich die Umsetzung der EU-Vorgabe ersparen darf. Im Gegenteil: Die deutschen Höchstrichter hielten sogar fest, dass eine Speicherung von Vorratsdaten nicht absolut verboten sei, erklärt Hannes Tretter vom Boltzmann Institut für Menschenrechte. Die deutsche Regelung wurde jedoch wegen des Verstoßes gegen das Telekommunikationsgeheimnis aufgehoben, weil sie unverhältnismäßig war. Sie ging sogar über die EU-Vorgaben hinaus. Die Union schreibt vor, dass die Daten bei schweren Delikten herauszugeben sind. Das deutsche Gesetz erlaubte aber etwa auch bei kleinen Internetdelikten den Zugriff auf die sensiblen Daten. Bereits im Jahr 2008 hatte das deutsche Höchstgericht in einer einstweiligen Anordnung den Zugriff auf die Vorratsdaten beschränkt. Das gestrige Urteil kippt nun das Gesetz als Ganzes, bereits gespeicherte Informationen müssen gelöscht werden. Das Berliner Parlament kann aber eine neue verfassungskonforme Regelung ausarbeiten.
Zu laut fällt der Jubel der Datenschützer daher nicht aus. Doch die Auswirkungen des deutschen Urteils für Österreich dürfen auch nicht unterschätzt werden. In Wien tobt ein Kampf um die Frage, wann die Vorratsdaten angewandt werden sollen. Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) und Justizministerin Claudia Bandion-Ortner gelten eher als Hardliner. Die für die Umsetzung in erster Linie zuständige Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) bremst. Für Bures bedeutet das deutsche Urteil Rückenwind, zumal es dem zu exzessiven Gebrauch der Vorratsdaten einen Riegel vorschiebt. Aus dem Infrastrukturministerium war am Dienstag zu hören, dass man die Umsetzung der Richtlinie jetzt weiter hinauszögern wird. Man will sich sogar wegen Nichtumsetzung der Richtlinie vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilen lassen. Dieses Urteil – es wird für April erwartet – wird noch keine Strafe vorsehen. Bevor es rund ein Jahr später zur zweiten Verurteilung (mit Strafzahlungen) kommt, werde man die Richtlinie aber umsetzen, erklärte eine Bures-Sprecherin. Geplant sei aber eine schonende Variante (Zugriff auf die Daten nur bei schweren Delikten, Speicherdauer: sechs Monate).
Big Brother light in Österreich
Doch auch die österreichische Light-Variante könnte grundrechtswidrig sein. Klären müsste das zunächst der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH), sagt Jurist Bernd-Christian Funk. Der VfGH könnte die Frage der Grundrechtskonformität auch dem EuGH vorlegen. Dieser müsste die EU-Richtlinie dann erstmals inhaltlich und nicht nur formal prüfen. Und er könnte die Richtlinie für ganz Europa aufheben.
Selbst auf politischer Ebene ist die 2005 im Kampf gegen den Terror beschlossene Vorschrift nicht mehr ganz so populär. Die neue Justizkommissarin Viviane Reding kündigte vor Kurzem an, die Vorratsdatenspeicherung überprüfen zu wollen. Offizieller Grund ist die seit Dezember 2009 geltende Europäische Grundrechtecharta, die auch die Privatsphäre der Bürger schützt. Inoffiziell ist die Überprüfung auch ein Zeichen für ein Umdenken in der EU. Der Druck für einen besseren Grundrechtsschutz ist durch das deutsche Urteil erneut gewachsen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)