Michael Altrichter: "Ich lese Businesspläne nicht im Detail"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Business Angel Michael Altrichter hat schon als Kind überlegt, wie er das Siegerweckerl des Dorfbäckers in ganz Österreich verkaufen kann. Später ist er mit seinem Unternehmen Paysafecard fast gescheitert, als die Dotcom-Blase platzte.

Er hat alle Höhen und Tiefen des Start-up-Lebens miterlebt, bevor er als Business Angel dazu überging, Start-ups vor Fehlern zu bewahren, die er selbst gemacht hat. Michael Altrichter, „Business Angel of the Year 2014“, blickt mit der „Presse am Sonntag“ zurück auf die Zeiten, als er noch blutiger Anfänger war.

Wann war für Sie klar, dass Sie Unternehmer werden wollen?

Ich erinnere mich, dass ich schon als Junge immer wieder davon gesprochen habe. Als unser Dorfbäcker bei einem Wettbewerb das beste Weckerl gebacken hat, hab ich damals schon überlegt, wie man dieses Weckerl in ganz Österreich verkaufen könnte. Ich hatte aber nie das konkrete Ziel, Unternehmer zu werden. Nach dem Studium hatte ich erst einmal meine Lehr- und Wanderjahre, habe ein Jahr bei der Frequentis im Vertrieb gearbeitet und ein Jahr bei der Connect Austria (heute „3“) im Netzwerkaufbau.

Wie kamen Sie dann zu dem Entschluss, sich selbstständig zu machen?

Das waren noch die Nachwehen des Studentendaseins. Wir haben uns immer abends getroffen und über geniale Ideen philosophiert. Die wurden immer besser, je mehr Bier wir getrunken haben. Meistens waren die Ideen am nächsten Tag aber nicht mehr so spannend. Der Schritt vom Wirt in die Garage – in unserem Fall war es die Küche von einem Kollegen – war dann entscheidend. Eine Idee, eine Prepaidkarte für das Internet, war am nächsten Morgen nämlich immer noch spannend. Da haben wir den Laptop aufgeklappt und uns gefragt, wie gehen wir das an?

Wie lang hat es gedauert von der Idee bis zur Gründung?

Vier bis fünf Monate, im Jänner 2000 hatten wir die Idee, im Mai habe ich mich in der neuen Firma angestellt, schon mit Gehalt. In unserem Fall war das möglich, weil wir zu dem Zeitpunkt schon Investoren hatten.

Wie haben Sie so schnell Geld aufgetrieben?

Netzwerk, Glück, Zufall. Wir haben alle unsere Kontakte zusammengekratzt. Einer unserer Gründer war sehr gut vernetzt. Wir hatten damals auch diesen Gründerspirit, wir vier mit leuchtenden Augen. Das war damals noch im Hype, mitten in der Blase 2000.

Das klingt, als wäre das zunächst ein Kinderspiel gewesen.

Na ja, das auch wieder nicht. Damals gab es ja noch keine Angel-Szene, wie es sie heute gibt. Unsere Geldgeber waren Privatinvestoren und Fonds, die man schon entsprechend suchen musste. Hannes Androsch hat damals bei uns investiert, die Commerzbank. Das war schon eine Besonderheit.

Noch im selben Jahr der Gründung von Paysafecard ist die Dotcom-Blase geplatzt.

Ja, das war eine Hochschaubahnfahrt. Erst diese enorme Wachstumseuphorie, und dann waren wir fast bankrott. Nach unserer ersten großen Finanzierungsrunde sind wir schon bedackelt dagestanden und haben uns gefragt, wie es weitergehen soll. Wir haben das Geld am Anfang ja mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen.

Typischer Anfängerfehler?

Ich rate heute jedem Start-up, vorsichtig mit Geld umzugehen. Auch wenn man auf einem guten Polster sitzt, muss man rechtzeitig schauen und gegensteuern, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Ein gutes Management erkennt das früh.

Wie haben Sie damals gegengesteuert?

Ziemlich radikal. Wir haben 80 Prozent unserer Leute rausgeschmissen: von 45 auf neun runter. Und unsere deutsche Dependance zugesperrt. Dann haben wir uns mit einem Very-Low-Cost-Konzept über Wasser gehalten, bis wir in die Phase gekommen sind, wo wir realistisch zeigen konnten, dass das Business funktionieren kann. Mit Kennzahlen, die belegen, dass ein Marktwachstum da ist. Bei unserer ersten Finanzierungsrunde hatten wir ja nichts vorzuweisen, außer Begeisterung.

Würden Sie aus heutiger Sicht in Ihre damalige Firma investieren?

(Denkt nach.) Ja, ziemlich sicher ein Erstinvestment. Ich hätte aber wesentlich weniger gegeben, als wir damals geraised haben. Wir hatten ja damals nicht einmal Produktwerte, keine fertige Plattform. Ich hätte aber nicht in der extremen zweiten Phase in uns investiert. Es hat damals ja zum Glück Investoren gegeben, die an uns geglaubt haben. Da weiß ich nicht, ob ich das Durchhaltevermögen gehabt hätte.

Wie lange hat die kritische Phase gedauert?

Die Wende kam zwei Jahre später. 2001 waren wir am Boden, 2003 war klar, dass es aufwärtsgeht, dass unser Produkt Anklang findet, dass wir wachsen. Aber der Break Even kam erst 2007. Da muss man aber auch sagen, dass der Bereich Online-Payments ein Spezialfall ist. Es dauert viele Jahre, eine Payment Brand aufzubauen, weil es lange dauert, bis der Endkunde sein Bezahlverhalten umstellt. Bei einer App geht das viel schneller. Die kann in wenigen Monaten wegpoppen.

Haben Sie das am Anfang geahnt?

Überhaupt nicht. Wie haben gedacht, in drei, vier Jahren sind wir alle superreich. Das ist ein Thema bei Start-ups: Fast jeder hat einen überzogenen Businessplan. Man hat ja als Gründer überhaupt keine Ahnung, wie sich das in ein, zwei Jahren entwickelt.

Aber ist es nicht auch Teil des Spiels, optimistisch zu sein, um überhaupt Investoren für sein Projekt zu begeistern?

Natürlich, man muss diese Euphorie versprühen, aber auch realistisch sein. Ich als Investor rechne dann immer gleich um. Wie hoch wird der Kapitalbedarf wirklich sein in den nächsten Runden? Ich weiß, dass es zu 95 Prozent nicht der Fall ist, dass nach der ersten Finanzierungsrunde der Break Even da sein wird. Man muss als Investor klar rechnen, dass die Dinge nicht so eintreten, wie der Gründer es in seiner Euphorie verspricht.

Wie beurteilen Sie einen potenziellen Kandidaten?

Ich lese Businesspläne nicht im Detail durch. Entscheidungsgrundlage sind zwei Faktoren: Kann das Start-up skalieren, also rasch wachsen, und kann es monetarisieren? Also: Kann man mit dem Produkt überhaupt Geld verdienen? Ist der Verkaufspreis deutlich höher als die Herstellungskosten? Bei Webapplikationen: Ist der Kunde bereit, dafür zu zahlen? Wenn es heißt: Wir sind werbefinanziert, läuten bei mir schon die Alarmglocken.

Aber eines Ihrer erfolgreichsten Start-ups, Rublys, ist werbefinanziert.

Bei Rublys funktioniert das gut, weil das ein völlig neuer Werbekanal ist. Weil wir wissen, Second Screen ist der Werbebereich, wo alle hinwollen. Da hatte ich den richtigen Riecher, wo viele andere skeptisch waren. Alle Zahlen, die wir haben, rocken.

Hat jeder, der einen Exit geschafft hat, das Zeug zum Business Angel?

Na ja, vielleicht nicht alle, aber ich glaube, der Großteil schon. Jeder, der selbst gegründet hat, kann einem neuen Gründer sehr viel helfen mit dem ganzen Auf und Ab. Ich habe damals auch jedes Mal, wenn ein neues Unternehmen im Payment-Bereich gegründet wurde, gedacht, es ist aus. Da muss man relativieren. Und wenn die Euphorie zu groß ist, muss man bremsen.

Warum gibt es eigentlich immer noch so wenige Business Angels?

Weil sich viele die Arbeit nicht antun wollen. Man kann sein Geld ja in ein Mittelstandsunternehmen investieren, statt in viele kleine Projekte.

Wie viele Prozent Ihres Geldes haben Sie in Start-ups investiert?

Seit Neuestem 100 Prozent. Aber ich streue breit. Und ich habe Unter- und Obergrenzen: Ich investiere minimal 50.000 Euro, alles darunter rentiert sich nicht. Und maximal 500.000 Euro.

Wie war das am Anfang, nach Ihrem Exit?

Da habe ich mich erst am Aktienmarkt probiert, aber da bin ich kläglich gescheitert. Dann an Immobilien, aber das war mir zu fad. Business Angel zu sein ist meine Leidenschaft, für mich ist das die richtige Investmentstrategie.

Würden Sie selbst noch einmal gründen?

Derzeit definitiv nicht. Weil ich weiß, was das heißt. Ich habe jetzt Familie. Die müsste ich vernachlässigen. Das will ich in meiner jetzigen Lebensphase nicht machen.

Michael Altrichter

Nach der Gründung von Payolution und Paysafecard und deren Verkauf an das englische Unternehmen Skrill 2011 bzw. 2013 ist Michael Altrichter als Business Angel aktiv. Sein aktuelles Portfolio umfasst Beteiligungen an zehn verschiedenen Internet-Start-ups, darunter Rublys, eine Rubbellos-App für Smartphones, die Anlageplattform Wikifolio und die Arzneimittel-Info-Plattform Diagnosia.

Fakten

Paysafecard. Das erste Start-up von Michael Altrichter ist heute die größte europäische Prepaid-Lösung zum Bezahlen im Internet und seit 2013 im Besitz des britischen Unternehmens Skrill. Paysafecard hat seinen Sitz in Wien und verfügt weltweit über zahlreiche Tochtergesellschaften – etwa in Düsseldorf, London und New York.

Dotcom-Blase. Eine im März 2000 geplatzte Spekulationsblase, die insbesondere die sogenannten Dotcom-Unternehmen der New Economy betraf und zu Vermögensverlusten für Kleinanleger und zum Ende des ersten Internet-Start-up-Booms führte. Die Anleger hatten überhöhte Gewinnerwartungen, ignorierten aber die fundamentalen Unternehmensbewertungen. So wurde eine hohe Cash-Burn-Rate als positives Unternehmensmerkmal gesehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2014)


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