Start der Teilchen-Raserei

(c) EPA (Martial Trezzini)
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Die größte Maschine der Menschheits-Geschichte, der LHC, ist in Genf in Betrieb gegangen. Die Physik betritt Neuland – und weckt (unbegründete) Ängste vor Schwarzen Löchern.

WIEN/GENF. „Was ich zu sehen hoffe, ist das Unerwartete“, sagt der holländische Physiknobelpreisträger Gerardus t'Hooft, sein britischer Kollege Brian Cox sagt es bescheidener: „Wenn manches, was wir zu finden hoffen, nicht auftaucht, dann ist das noch aufregender; denn das heißt, dass wir weniger von der Natur verstehen, als wir gedacht haben.“

Physiker in aller Welt blicken in diesen Tagen nach Genf, Richtung CERN. Dort ist am Mittwoch die größte Maschine in Betrieb gegangen, die Menschen je erbaut haben: der Large Hadron Collider (LHC), so benannt, weil dort Teilchen (Hadronen) kollidieren. Sein einziger Zweck: mehr über den Aufbau der Welt in Erfahrung zu bringen. Um exakt 9.33 Uhr schossen die Forscher einen Protonenstrahl in den neuen Teilchenbeschleuniger LHC ein.

Der LHC ist im Prinzip eine ringförmige Rennbahn in einem 27 Kilometer langen Tunnel, der bereits von 1989 bis 2000 einen Beschleuniger (LEP) beherbergte. Auf dieser Bahn werden Teilchen – Protonen, später auch Bleiatome – beinahe auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, bis sie, von über 1200 Magneten auf der Bahn gehalten, den Ring 11.000 Mal pro Sekunde durchfliegen. Dann werden sie zur Kollision gebracht. Unter den Trümmern, die dabei entstehen, sollen bisher unbekannte Bausteine der Welt sein. Die Teilchenphysik braucht eines davon, das Higgs-Boson, dringend zur Komplettierung ihres „Standardmodells“; viel hypothetischer sind die supersymmetrischen Teilchen, von denen auch niemand sagen kann, bei welcher Energie sie auftreten.

Urknall? Zwei Mücken!

Aber auf die Energie kommt es an. Und die ist beträchtlich, allerdings auf sehr kleinem Raum. Makroskopisch gesehen wird „jede Kollision eines Protonenpaars im LHC so viel Energie freisetzen, wie beim Zusammenstoß von zwei Mücken entsteht“, schreiben CERN-Physiker. Sie reagieren damit auf Befürchtungen, die sich freilich aus Übertreibungen speisen, die die PR-Arbeit des CERN provoziert hat. So hieß es oft, die Physiker würden den Urknall nachstellen oder zumindest Bedingungen erzeugen, wie sie „kurze Zeit“ (was immer das heißen mag) nach dem Urknall geherrscht haben. Das ist, wie Helmut Eberl, theoretischer Physiker am Wiener Institut für Hochenergiephysik, der „Presse“ erklärt, schon deshalb ein Unsinn, weil im LHC nicht annähernd die hohe Dichte des frühen Universums erreicht werden kann, auch nicht die Temperatur.

Freilich ist die Neugier der Physiker echt: Die Experimente am LHC sollen ja helfen, das Standardmodell der Teilchenphysik nicht nur zu bestätigen, sondern zugleich zu sprengen. Mit dem LHC betritt die Physik tatsächlich Neuland. Und für die Bedingungen, die in diesem herrschen, gibt es etliche Theorien. Weniger exotische wie die Supersymmetrie; mehr exotische wie die Annahme, dass die Schwerkraft sich bei kleinen Abständen anders verhält, als die Relativitätstheorie sagt, und sich daher bei Kollisionen winzige Schwarze Löcher bilden könnten.Vor allem dieses Szenario hat Kritiker angestachelt, darunter den Wiener Philosophen Markus Goritschnig. Sie fürchten, dass sich Schwarze Löcher, so klein sie auch sind, unaufhaltsam vermehren und schließlich (zumindest) die Erde verschlingen. Sie haben daher eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht, mit einem Eilantrag auf Stopp der Experimente.

Wirklich gestartet werden die Experimente ohnehin frühestens im November. Heute soll nur das erste Mal ein Protonenstrahl durch den gesamten Ring kreisen. „Wir hoffen schon, dass wir erste Kollisionen heuer noch zustande bringen“, sagt Manfred Krammer vom Wiener Institut für Hochenergiephysik, das bei CERN-Experimenten mitwirkt: „Allerdings nicht mit der vollen Energie, wahrscheinlich bei zwei mal fünf Teraelektronenvolt (TeV), das wäre schon ein Rekord. Nach dem Winter-Shutdown hoffen wir, rasch auf zwei mal sieben TeV zu kommen.“ Da sollte sich dann das Higgs-Boson finden lassen. Wenn es denn existiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2008)

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