In einem internen Revisionsbericht des AMS wird kritisiert, dass sich bereits integrierte Zuwanderer schlechter bei der Arbeitssuche betreut fühlen als neue Flüchtlinge.
Wien. Unterscheidet das Arbeitsmarktservice (AMS) zwischen Migranten erster und zweiter Klasse? Diese Frage wirft ein interner Revisionsbericht des AMS vom Juni 2017 auf. In diesem konkreten Punkt beziehen sich die Autoren auf Gespräche mit AMS-Mitarbeitern und AMS-Kunden in Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg. Daraus „geht hervor, dass eine starke zielgruppenbezogene und finanzielle Konzentration der AMS-Kurse auf jene Asylberechtigten gegeben ist, die sich weniger als zwei Jahre in Österreich aufhalten“. Dies führe zunehmend zu einem Konflikt unter den Migranten, „der sich darin manifestiert, dass die bereits besser integrierten Migranten/-innen die neuen ,Flüchtlinge‘ argwöhnisch betrachten“, heißt es in dem knapp 50-seitigen Dossier. Die seit 2015 nach Österreich gekommen Flüchtlinge machen nur etwa sechs Prozent aller AMS-Kunden aus.
Minderjährige als Dolmetscher
„Die Presse“ zitierte bereits in der Dienstagausgabe aus dem internen Revisionsbericht, der Probleme bei der Integration Arbeitsloser mit nicht deutscher Muttersprache aufzeigt. Österreichweit sind 42 Prozent der AMS-Kunden Ausländer oder Österreicher mit Migrationshintergrund. In Wien liegt der Anteil dieser beiden Gruppen bei 61 Prozent, in manchen Geschäftsstellen sogar bei 70 Prozent.
Eine gezielte Betreuung scheitere oft an den mangelnden Deutschkenntnissen, heißt es. In vielen Fällen würden Kunden „eigene Vertrauenspersonen“ zur Übersetzung mitbringen. Sogar Minderjährige würden als Dolmetscher auftreten. Manche Geschäftsstellen vermuten, dass in einigen Fällen nicht der wirkliche Kundenwunsch übersetzt werde. Etwa wenn Väter für ihre Töchter übersetzen, schreiben die Autoren.
AMS-Geschäftsstellen klagen darüber hinaus, dass es nicht genügend Plätze in Deutschkursen gäbe. Dabei seien Deutschkurse mangels Qualifikation und Sprachkenntnissen oft das einzige sinnvolle Angebot für Migranten, heißt es in dem Bericht.
Via Facebook nahm AMS-Chef Johannes Kopf zum Dossier Stellung. Er habe „die angesprochene Revision ausdrücklich angeordnet, um auf diesem schwierigen Gebiet zu optimalen Lösungen zu kommen“, postete er. Viele der AMS-Kunden seien in schwierigen persönlichen Situationen, manche mit schweren psychischen Problemen, manche gewaltbereit: „Dies ist etwa der Grund warum wir Deeskalationsschulungen durchführen, gewisse Personen nur zu zweit beraten oder auch Sicherheitskräfte in größeren AMS-Geschäftsstellen beschäftigen.“
Das Dossier enthalte aber „keinerlei Angaben über die Häufigkeit der beschriebenen Wahrnehmungen“ und verleite zu Fehlinterpretationen, schrieb Kopf. Er betonte, dass aufgrund des Berichts Maßnahmen ergriffen worden seien, die „von der Organisation größtenteils bereits umgesetzt sind“. So sei ein Leitfaden über den Umgang mit Migranten erstellt worden.
„AMS-Beraterin oder -Berater zu sein, ist oftmals ein schwerer Job. Die Betreuung von Personen aus einem anderen Kulturkreis und mit schlechten Deutschkenntnissen ist dabei oftmals besonders herausfordernd. Der Vorstand des AMS war in diesem Themenkreis jedoch weder untätig noch beschwichtigend, sondern ist das Thema proaktiv angegangen, hat den Revisionsbericht selbst beauftragt und konkrete Maßnahmen daraus bereits abgeleitet“, hält der AMS-Chef fest.
ÖVP fordert „null Toleranz“
Im Gespräch mit dem ORF-Radio ging Kopf konkret auf religiöse und kulturelle Gründe für Integrationshindernisse ein. So komme es etwa vor, dass sich arbeitslose Migranten weigern, sich von Frauen betreuen zu lassen. Diese Arbeitslosen würden sanktioniert. Auch würde das AMS vollverschleierte Frauen „wegschicken“, da diese gegen das Vollverschleierungsverbot verstoßen.
SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch nahm den AMS-Bericht zum Anlass, um Kritik an der türkis-blauen Regierung zu üben. Diese verschärfe das Problem „mit einem Kahlschlag beim AMS-Budget, indem die Mittel um 30 Prozent gekürzt werden“.
ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer fordert hingegen „null Toleranz für Integrationsverweigerer“. Die Probleme beim AMS zeigen, wie wichtig die von der Regierung initiierten Deutschklassen vor dem Schuleintritt seien. Gerade in Wien führten Versäumnisse bei der Integration dazu, dass „Integrationsverweigerer in der Hängematte der Mindestsicherung“ landen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2018)