(Un-)Moral auf Märkten: Wie wichtig das Design ist

UnMoral Maerkten wichtig Design
UnMoral Maerkten wichtig Design(c) EPA
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Das Verhalten von Menschen auf Märkten strotzt nur so vor Irrationalitäten: Zwei Beispiele, über die in Alpbach berichtet wurde.

Gehörig Staub aufgewirbelt hat im Mai eine Studie der deutschen Ökonomen Armin Falk und Nora Szech – auch in der „Presse“. Die beiden haben in Experimenten gezeigt, dass Märkte die Moral der Menschen unterminieren können (Science, 340, S. 707): Sie machten einen Versuch, bei dem die Teilnehmer vor der Wahl standen, entweder zehn Euro zu bekommen, wobei eine „überzählige“ Labormaus getötet wurde – oder auf die zehn Euro zu verzichten und damit der Maus das Leben zu retten. (Die Labormäuse waren für medizinische Versuche speziell gezüchtet worden und wären ohne das Experiment der Ökonomen auf jeden Fall eingeschläfert worden.)

Wenn jeder einzelne Versuchsteilnehmer direkt vor die Wahl „Maus oder Geld“ gestellt wurde, nahmen 43Prozent die zehn Euro. Wenn hingegen die Mäuse bzw. Auszahlungen auf einem Markt gehandelt wurden, entschieden sich 80 Prozent für das Geld.


Geteilte Verantwortung. Was ist der Grund für diese offenkundige Ausweitung der Unmoral? Nach der Veröffentlichung der Studie mutmaßten viele, dass die Anonymität auf Märkten alle moralischen Bedenken beiseiteschiebe. Der Innsbrucker Ökonom Michael Kirchler wollte es genauer wissen. Beim Alpbacher Universitätenforum berichtete er diese Woche, dass es in der Literatur mehrere mögliche Erklärungen gebe: Neben der Anonymität könnte z.B auch die Tatsache eine Rolle spielen, dass man auf Märkten die Verantwortung teilen und dadurch zum Teil abschieben kann. Es könnte aber auch an einer „Nichtinvolviertheit“ mit dem gehandelten „Gut“ liegen.

Basierend auf solchen Theorien konzipierte Kirchler eine Versuchsreihe, die allerdings nicht so blutig ablief. Er ging dafür eine Kooperation mit der Unicef ein: Die Versuchsteilnehmer konnten entweder 100 Einheiten eines Masernimpfstoffes für die Dritte Welt spenden, oder sie konnten den Gegenwert von 21,40 Euro einstecken – die Menschen bekamen dann keinen Impfstoff. Die Impfstoffpakete konnten von den Versuchsteilnehmern wie im deutschen Experiment auf dem Markt gehandelt werden.

Kirchler veränderte aber die Bedingungen auf den Märkten: Er ließ z.B. vor jeder Transaktion auf den Computerbildschirmen ein Pop-up-Fenster erscheinen, das auf die Konsequenzen hinwies – das sollte die Involviertheit steigern. Oder er lud einen Arzt zu einem Kurzvortrag über Masern in Entwicklungsländern ein – in der Erwartung, dass Aufklärung über die Gefahren der Krankheit (jährlich 150.000 Todesopfer) die Entscheidung beeinflussen würde. In einem weiteren Versuch wurde die Anonymität auf dem Markt aufgehoben, in einem anderen wurden Menschen, die das Geld nahmen, durch einen Abzug bestraft. Und: Im Gegensatz zum ursprünglichen Versuchsdesign von Falk und Szech, bei dem es mehr Verkäufer als Käufer gab (was Kirchler grundsätzlich nachahmte), konstruierte er auch einen symmetrischen (weniger aggressiven) Markt.

„Die Ergebnisse haben uns überrascht“, resümierte der Forscher, der ab September eine Professur am Department of Banking and Finance der Uni Innsbruck übernimmt: Fast keine Interventionen zeigte Wirkung. Daran, dass etwas mehr als 80 Prozent der Menschen das Geld einsteckten, änderte weder eine erhöhte Involviertheit noch Aufklärung etwas – ebenso wenig wie die Aufhebung der Anonymität.


Aufklärung hilft nicht. Nur zwei Maßnahmen hatten messbare Wirkung: Das Einheben von Strafzahlungen und die Schaffung symmetrischer Märkte reduzierten das unmoralische Verhalten auf knapp 70 Prozent. „Immer noch ein hoher Wert“, merkt Kirchler an. Sein Fazit: Es sei durchaus möglich, dass Märkte das moralische Verhalten unterminieren. Allerdings seien Märkte kein Naturgesetz, sondern würden von Menschen designt. Und durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen kann offenbar die Moral auf Märkten gesteigert werden – zumindest etwas.

Dass im Wirtschaftsgeschehen nicht nur rationale Überlegungen eine Rolle spielen, sondern auch die Psychologie, ist freilich nichts Neues: Schon John Maynard Keynes hat in den 1930er-Jahren den Begriff „animal spirit“ eingeführt – als Bezeichnung für irrationale Verhaltensweisen wie unreflektierte Instinkte, Emotionen oder Herdenverhalten.


„Animal spirit“. Von einem Beispiel – nämlich dem Bauboom in den USA – berichteten beim Universitätenforum die Psychologin Linda Pelzmann und ihr Doktorand Nicolaus Berlin (Alpen-Adria-Uni Klagenfurt): 1993 wurde mit dem Bau eines riesigen Areals von Einfamilienhäusern begonnen. Geld war vorhanden, es gab billige Kredite, Förderungen, Fundamente wurden gelegt, die ebenerdigen Etagen errichtet. Doch dann kam das abrupte Ende der Förderungen, das ebenso schnelle Ende der Bautätigkeit folgte. Heute ist das Areal eine riesige Ruinenlandschaft.

Was war geschehen? In der Clinton-Administration flossen gemäß der Devise „Jedem Amerikaner sein eigenes Haus“ reichlich Mittel. Dann kam eine Immobilienblase. „Das Paradoxe an diesem Desaster“, so Pelzmann, „war, dass der Bau nicht als Resultat von Fehlleistungen zu sehen ist.“ Vielmehr hatte man mit dem Projekt in einer Zeit der wirtschaftlichen Erfolge begonnen.


Über das Ziel hinausgeschossen. Die zu Baubeginn konstatierten „animal spirits“, ergänzte Berlin, könnten enorme Energien freisetzen, aber über das Ziel hinausschießen – wie eben bei dem Bauprojekt. „Ein Beispiel, bei dem der Erfolg zu einem Desaster führt.“

Wie aber kann der Mensch erkennen, wann er über ein Ziel hinausschießt? Vorerst gar nicht, machten Pelzmann und Berlin deutlich, denn die Entwicklung wurde in dem Beispiel als anregender Boom empfunden. Und als der damalige US-Notenbank-Chef Alan Greenspan das Anfangsstadium der Fehlentwicklung wohl erkannt haben musste, wurde er eben wegen der Baukredite noch so sehr gefeiert, dass er nicht die Größe zum Aufstechen der Blase hatte. Das war irrational, aber so war es. Dennoch seien die „animal spirits“ nicht nur negativ zu sehen, so Berlin: „Wir brauchen sie, um aus einer Krise herauszufinden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2013)


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