Diplomatie: Das türkische Dilemma

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Mit ihrer Öffnung zum Iran schuf die türkische Außenpolitik einen Konflikt mit den USA. Möglicherweise platzt der Kauf amerikanischer Drohnen, die das türkische Militär gegen Kurden-Rebellen einsetzen will.

Alpbach. Die Türkei könnte es noch bitter bereuen, dass sie im UN-Sicherheitsrat gegen die Iran-Sanktionen und damit auch gegen die USA stimmte. Möglicherweise platzt der Kauf amerikanischer Drohnen, die das türkische Militär gegen Kurden-Rebellen einsetzen will.

Im US-Senat formiere sich eine Mehrheit dagegen, analysierte Albert Rohan, ehemals Generalsekretär des Außenamts, bei einer Diskussion in Alpbach. US-Außenministerin Hillary Clinton erachte die derzeitigen Beziehungen für derart schlecht, dass sie hochrangige türkische Diplomaten zu einer Klausur in Washington eingeladen habe, berichtete Rohan. Die Türkei und Brasilien waren deswegen nicht mit den Strafmaßnahmen gegen den Iran einverstanden, weil sie zuvor mit der Teheraner Führung einen Kompromissvorschlag zum Atomstreit ausgehandelt hatten.

Zur Entfremdung von den USA dürfte auch die neue türkisch-israelische Eiszeit beitragen. Ahmet Nuri Yurdusev, Professor für internationale Beziehungen in Ankara, bestätigte, dass es der Türkei im Moment schwer falle, ihr Verhältnis zu den verschiedenen Akteuren auszubalancieren: zu Armenien und Aserbaidschan, zu Israel und der Hamas, zum Iran und den USA.

Die türkische Außenpolitik ist im Umbruch. Es ist noch nicht so lange her, da lag die Türkei mit nahezu allen ihren Nachbarn im Clinch. Ende der 90er-Jahre überlegten Militärs, ob die Armee in der Lage wäre, zwei Kriege gleichzeitig zu führen: gegen Griechenland und Syrien. Doch dann forcierten Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan und sein außenpolitischer Mentor Ahmet Davutoğlu ein neues Konzept, das schon die Vorgängerregierung eingeschlagen hatte: null Konflikte mit den Nachbarn. Auf einmal normalisierten sich die Beziehungen zu Syrern, Griechen und Iranern. Sogar einen Aussöhnungsversuch mit Armenien gab es.

Der Westen verliert die Türkei

Doch bei der Umsetzung des innovativen Konzepts hätten sich neue Konflikte ergeben, erklärte Shlomo Avineri, Professor an der Hebrew University in Jerusalem: und zwar die Verschlechterung der Beziehungen zu den USA und der Bruch mit Israel. Der dürfte seit dem Sturm auf das türkische Gaza-Aktivistenschiff „Mavi Marmara“ nicht mehr so leicht zu kitten sein. Als Vermittler zwischen Syrien und Israel habe sich die Türkei praktisch aus dem Spiel genommen, sagte Avineri. Und mit ihrer Annäherung an Iran und Hamas habe sich die Türkei auch von den sogenannten moderaten arabischen Regierungen entfernt.

Für Professor Yurdusev kein neues Phänomen: Ägyptens und Saudiarabiens Führung hätten Erdoğans AKP ohnehin nie sonderlich geliebt, weil sie zeige, dass Demokratie und Islam vereinbar seien. Der Westen verliert die Türkei, bemerkte Aydin Findikçi, Soziologieprofessor in München. Er empfahl der EU, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen.

Findikçi hat ein grundsätzliches Problem mit Erdoğan. Denn für den türkischen Premier sei Demokratie nur eine Straßenbahn, aus der er wieder aussteigen werde, wenn er die Armee zurückgedrängt habe und die türkische Gesellschaft ungestört islamisieren könne. Gerald Knaus, Chef des Think Tanks ESI, widersprach leidenschaftlich. Unter Erdoğan sei die Türkei ziviler geworden. Das Land habe den Schritt vom Sicherheitsstaat zum Handelsstaat vollzogen.

Islamische Calvinisten

Die neue Nachbarschaftspolitik entspreche dem Ethos der „islamischen Calvinisten“ aus Mittelanatolien, die der jetzige Präsident Abdullah Gül verkörpere. Das Wichtigste für diese aufstrebende Klasse von Kaufleuten sei es, Handel mit den Nachbarn treiben zu können, auch mit ehemaligen Erzfeinden. An ein Ende der Beitrittsverhandlungen glaubt Knaus nicht. Für eine Suspendierung gebe es keine Mehrheit in der EU. Und Erdoğan werde schon allein darum am Tisch sitzen bleiben – schon allein deshalb, weil er glaube, dass viele Europäer ihn dort nicht sehen wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2010)

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