„Auf langfristige Perspektiven achten“

Thomas Lehr hält die Kursverluste bei deutschen Autoaktien für überzogen.
Thomas Lehr hält die Kursverluste bei deutschen Autoaktien für überzogen. (C) Valerie Voithofer
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Vom Lärm rund um den Handelskrieg zwischen den USA und der EU und China sollten sich Anleger nicht abschrecken lassen, sagt Kapitalmarktstratege Thomas Lehr.

Die Presse: Herr Lehr, angesichts der Turbulenzen rund um den Handelsdisput zwischen den USA und China bleibt dennoch ein Börsencrash aus. Kommt die große Panik noch?

Thomas Lehr: Ich denke, dass Anleger angemessen reagieren. Die angekündigten Strafzölle sind nur für einige Unternehmen und Sektoren relevant, nicht aber für die Kapitalmärkte als Ganzes. Der messbare wirtschaftliche Schaden, der angerichtet werden könnte, dürfte verschwindend gering sein, gemessen an der globalen Handelsbilanz. Dennoch dürften der Handelskonflikt und der Lärm, den er erzeugt, die Stimmung an den Börsen noch eine Weile dämpfen.

Auch die deutsche Automobilindustrie ist betroffen, ein wichtiger Sektor für Deutschland, somit für die größte EU-Volkswirtschaft. Sollte man den Disput in Europa ernster nehmen?

Ich halte die Kursverluste der vergangenen Wochen in dem Sektor jedenfalls für übertrieben. Viele Anleger übersehen einen wesentlichen Aspekt: Während die USA Strafzölle auf deutsche Autoimporte verhängen wollen, hat China seine Zölle auf Europas Autoimporte gesenkt, wobei China ein zunehmend relevanter Absatzmarkt wird. Zudem können deutsche Autobauer in ihren US-Werken zum Beispiel die Kapazitäten erhöhen.

Eine gute Zeit also, deutsche Automobilaktien zu kaufen?

Das kann man pauschal so nicht beantworten. Grundsätzlich ist die Branche sehr zyklisch, damit sehr abhängig vom Konjunkturaufschwung. Es ist eine Geschmacksfrage, wie sehr man sich diesem Bereich aussetzen möchte. Wir bevorzugen defensive Titel zum Beispiel aus dem Bereich des täglichen Konsums, mit einem gut kalkulierbaren Geschäftsverlauf.

Nun möchte der Motorradhersteller Harley-Davidson aus den USA abziehen, der Pharmakonzern Pfizer wurde für geplante Preisanhebungen von US-Präsident Donald Trump angeprangert. Steigt der politische Einfluss auf ein US-Aktieninvestment?

Ein Aktienportfolio sollte mit einem langfristigen Anlagehorizont auf mindestens fünf Jahre erstellt werden, oder länger. Da ist es wichtig, die langfristigen Perspektiven eines Unternehmens zu analysieren, unabhängig vom täglichen Börsenlärm und politischem Geplänkel. Man muss dem Unternehmen zutrauen, fundamental zu wachsen und erfolgreich durch Krisen zu navigieren.

Zudem hat die US-Notenbank mit Zinsanhebungen begonnen. Und bei langlaufenden Anleihen ist die Rendite auf rund drei Prozent angestiegen. Ist die Zinswende endgültig da?

Das Interessante ist, dass die Rendite bereits im Jänner 2014 bei drei Prozent lag, in etwa dort, wo sie heute ist, wobei die US-Notenbank damals noch Anleihen gekauft hat und der Leitsatz bei null Prozent lag. Dazwischen sind die Renditen für langlaufende Anleihen trotz Zinsanhebungen sogar zeitweise gefallen. Von einer Wende kann daher nicht die Rede sein.

Viel Spielraum nach oben sehen Sie bei den US-Zinsen also nicht mehr?

Ich denke, die USA sind daran auch nicht sonderlich interessiert. Denn die US-Staatsschulden wachsen und würden sich bei steigenden Zinsen weiter verteuern. Zudem ziehen höhere Zinsen eine Menge ausländisches Kapital an, solang etwa in Japan und in Europa die Zinsen niedrig bleiben. Das würde den Dollar stärken und US-Exporte belasten.

Sollten sich europäische Anleger mehr Gedanken zu den Währungen machen?

Da wir langfristig eine gewisse Grundskepsis zur Konstruktion des Euro haben, könnte eine Diversifizierung bei Währungen sinnvoll sein. Allerdings muss man auf das Risiko achten. Für einen konservativen Anleger mit einem reinen Anleiheportfolio wäre das vermutlich weniger passend. Anders etwa bei einem Portfolio mit internationalen Aktien. Da hätte man auch gleich eine Streuung auf andere Währungen.

Wären gemeinsame Eurobonds eine sinnvolle Lösung für die steigenden Schulden in einigen EU-Ländern?

Wenn es eine Gemeinschaftswährung mit gemeinsamen Spielregeln gibt, müssten alle Mitglieder diese einhalten, was sie aber nicht tun. Das ist das grundsätzliche Problem. Da ist Deutschland keine Ausnahme, hier wurden ebenfalls vor einigen Jahren Defizitgrenzen überschritten. Stattdessen werden seit Jahren die Spielregeln angepasst, und zwar für jene Mitglieder, die sich nicht daran halten.

ZUR PERSON

Thomas Lehr ist seit Anfang 2017 Kapitalmarktstratege bei Flossbach von Storch und war vorigen Mittwoch auf Einladung des Wealth Managements der Hypo Vorarlberg in Wien. Zuvor arbeitete Lehr für die Berenberg Bank (Schweiz) sowie für die Deka Investment und die Credit Suisse Gruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2018)

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