Finanzminister Löger möchte beim informellen EU-Treffen in Wien über mögliche Folgen einer Erhöhung des Leitzinssatzes debattieren und lässt seine Sympathie dafür erkennen.
Brüssel. Ein Diskussionspapier des Wiener Finanzministeriums sorgt vor dem Treffen der Eurogruppe am Freitag in Wien und dem tags darauf stattfindenden informellen EU-Finanzministerrat für Aufsehen. In diesem Dokument, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, regt Finanzminister Hartwig Löger zu einer Debatte über die Leitzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) an. Und er lässt dabei eindeutige Sympathie für eine Erhöhung des Leitzinses erkennen, der seit März 2016 nominell null Prozent beträgt.
„Stimmen Sie zu, dass eine Zinssatznormalisierung für sich genommen keine Probleme für den Finanzsektor verursachen wird?“, lautet eine Frage, welche Löger im Rahmen des österreichischen Ratsvorsitzes seinen europäischen Amtskollegen sowie Vertretern des Zentralbankensystems stellen wird. Mit Zinssatznormalisierung umschreibt man eine Anhebung des Leitzinssatzes, die angesichts der seit Längerem andauernden Erholung der europäischen Volkswirtschaft nach Ansicht vieler Fachleute geboten wäre. Mit dem wiedererlangten wirtschaftlichen Wachstum nach der Finanzkrise steigen nämlich auch die Teuerungsrate und damit der Wertverlust der Vermögen von Sparern und der Forderungen von Gläubigern. Die EZB plant zwar, noch heuer ihr Programm zu beenden, im Rahmen dessen sie Staatsanleihen der Eurozonenmitglieder aufkauft, womit sie ihre Refinanzierungskosten niedrig hält. Den Leitzinssatz von null Prozent will sie aber zumindest bis nach dem Sommer 2019 beibehalten.
„Wenig Anlass zur Sorge“
Die Neigung des Finanzministeriums in Richtung einer rascheren Leitzinssatzerhöhung lässt sich in einigen weiteren Passagen des Diskussionspapiers erkennen. So weist es darauf hin, dass „die Fed in den USA schon damit begonnen hat, Leitzinssätze zu erhöhen, ohne größere wirtschaftliche Verwerfungen bisher“. Die Minister sollen sich bei dieser Besprechung zusätzlich auf ein Papier der Brüsseler Denkfabrik Centre for European Policy Studies stützen, dessen Autor Daniel Gros resümiere, dass es „wenig Anlass zur Sorge über die Auswirkung der geldpolitischen Normalisierung auf die Realwirtschaft“ gebe. Sollte es jedoch eine zu rasche Anhebung des Leitzinssatzes geben, würde das eine „scharfe“ Steigerung des gesamten Zinsniveaus nach sich ziehen, und das könnte Schuldner, die besonders tief in der Kreide stehen, zahlungsunfähig machen.
„Machen keine Geldpolitik“
Im Büro von Minister Löger wurde auf Anfrage der „Presse“ die Existenz des Papiers bestätigt. Die Wahl dieses Diskussionsgegenstands sei insofern geboten, als es bei der Tagung in Wien darum gehe, „über die Finanzstabilität zu sprechen“. Die Bedenken, wonach eine solche öffentliche oder halböffentliche Debatte der Finanzminister die im EU-Vertrag festgeschriebene politische Unabhängigkeit der EZB beeinträchtigen könnte, teilt man im Ministerium nicht: „Die Finanzminister wissen, dass sie nicht Geldpolitik machen.“
Wenn die EZB jedoch selbst die Normalisierung ihrer Geldpolitik in Aussicht stelle, müsse die Politik erörtern, welche Folgen das auf die Finanzmärkte haben könnte. Der von der Zentralbank lancierte Zeitplan, wonach frühestens in einem Jahr mit einem Anstieg des Leitzinssatzes zu rechnen sei, werde von den Ministern „nicht angezweifelt“.
Bindende Beschlüsse wird dieser Ecofin jedenfalls nicht bringen, denn er ist informell und somit hauptsächlich zum freien Meinungsaustausch geeignet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2018)