Erste Zinserhöhung in der Schweiz bleibt Zukunftsmusik

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Die Schweizerische Nationalbank lässt sich mit einem Ausstieg aus ihrer ultralockeren Geldpolitik noch Zeit.

Der starke Franken bremst den Ausstieg der Schweizerischen Nationalbank (SNB) aus dem Krisenmodus. Trotz einer guten Wirtschaftsentwicklung und der langsam anziehenden Inflation signalisierten die Währungshüter am Donnerstag noch keine Abkehr von ihrer seit bald vier Jahren unverändert lockeren Geldpolitik. Die Negativzinsen von minus 0,75 Prozent und die Bereitschaft zu Devisenmarkt-Interventionen seien weiterhin "ganz wichtig", sagte Notenbank-Präsident Thomas Jordan dem Schweizer Rundfunk SRF. Mit beiden Maßnahmen wollen die Währungshüter für einen möglichst schwachen Franken sorgen, denn dieser macht Schweizer Waren im Ausland günstiger und stützt so die Wirtschaft.

Die SNB ist in einer Sondersituation: Der Franken gilt bei Investoren als "sicherer Hafen" in unruhigen Zeiten und hatte in den vergangenen Wochen zu Euro und Dollar an Wert gewonnen. "Das ist der Hauptgrund, weshalb unsere Geldpolitik unverändert expansiv bleiben muss", sagte Jordan. Die Lage an den Devisenmärkten bleibe unsicher. "Das heißt, wir müssen immer noch aufpassen", sagte er. Hintergrund des jüngsten Frankenanstiegs waren etwa die hohe Verschuldung Italiens und Ängste vor einem Überschwappen der Währungskrise in der Türkei auf Europa, die den Euro belastet hatten. Zudem beunruhigt der Handelsstreit zwischen den USA und China die Anleger. Anfang September erreichte der Franken zum Euro zeitweise den höchsten Stand seit mehr als einem Jahr. Er ist aus Sicht der SNB weiterhin hoch bewertet. Aktuell kostet ein Euro 1,1310 Franken.

"Weit weg von der Normalität"

Wann die SNB die Zinsen anheben wird, hängt vor allem von der Europäischen Zentralbank (EZB) ab, die eine Zinserhöhung frühestens ab Herbst 2019 in Aussicht gestellt hatte. Wenn die Schweiz diesen Schritt schon vorher machen würde, so fürchten die Währungshüter, könnte der Franken dadurch erneut aufwerten. Daher wird am Markt derzeit mit einer SNB-Zinserhöhung erst gegen Ende 2019 gerechnet.

Ein wichtiges Kommunikationsmittel der Notenbank dafür ist ihre Inflationsprognose. Wenn diese dauerhaft über das von der SNB anvisierte Ziel von weniger als zwei Prozent hinausschießt, besteht Handlungsbedarf - etwa in Form einer Zinserhöhung. Inzwischen gehen die Währungshüter davon aus, dass die Inflation diese Schwelle bei unveränderten Leitzinsen im zweiten Quartal 2021 erreicht - und damit etwas später als bislang gedacht. Rasche Schritte sind nach Einschätzung von Experten deshalb nicht zu erwarten. Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteinischen VP Bank, resümierte: "Eine Zinserhöhung bleibt damit Zukunftsmusik. Für eine straffere Geldpolitik bedarf es höherer Inflationsraten."

In anderen Teilen der Welt haben Zentralbanken ihren Krisenmodus früher beendet. Die US-Notenbank (Fed) war Ende 2015 auf einen Kurs der behutsamen Zinserhöhungen umgeschwenkt. Dieses Jahr hat sie ihren Leitsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld bereits zwei Mal angehoben, zuletzt im Juni auf das aktuelle Niveau von 1,75 bis 2,00 Prozent. Die EZB will ihre milliardenschweren Anleihenkäufe zum Jahresende einstellen - sofern die Wirtschaft mitspielt. Die SNB hingegen sei "weit weg von einer Normalität", sagte Jordan

Was Ökonomen dazu sagen

Volkswirte kommentieren die geldpolitische Lagebeurteilung der SNB wie folgt:

DANIEL HARTMANN, BANTLEON BANK

"Die SNB zeigt sich hinsichtlich der Entwicklung des Wechselkurses deutlich besorgter als noch vor drei Monaten. Die jüngste Wechselkursentwicklung hinterlässt auch in der offiziellen Inflationsprognose markante Spuren. Der von der Inflationsprognose ausgehende Druck, die Leitzinsen anzuheben, hat damit spürbar abgenommen. Die Schweizer Wirtschaft wird 2018 voraussichtlich mit 3,0 Prozent wachsen und die Arbeitslosenquote auf durchschnittlich 2,6 Prozent fallen. Das ist eigentlich kein Umfeld für Negativzinsen. Leitzinserhöhungen sind mithin überfällig.

Die SNB muss mehr denn je auf die Wechselkursentwicklung Rücksicht nehmen. Eine kräftige Aufwertung des Frankens könnte den gesamten Prozess der Reflationierung wieder zunichtemachen. Außerdem will die SNB aus politischen Gründen möglichst nicht mehr stark am Devisenmarkt intervenieren. Ein Vorpreschen bei den Leitzinserhöhungen kommt daher nicht infrage. Die SNB muss warten, bis die EZB den ersten Schritt macht. Dies wird nicht vor Herbst 2019 der Falls sein. Entsprechend dürfte die SNB den Leitzins frühestens Ende 2019 anheben.

Mit der langanhaltenden Niedrigzinspolitik sind Risiken verbunden – vor allem am Immobilienmarkt. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen und vergrößert die Gefahr einer starken Korrektur am Immobilienmarkt in den nächsten Jahren."

CHARLOTTE DE MONTPELLIER, ING

"Die SNB signalisiert eine eher zurückhaltende Haltung, indem sie ihre bedingte Inflationsprognose für 2019 und 2020 nach unten revidiert. Dies bedeutet, dass es absolut keine Chance gibt, dass die SNB die Zinsen anhebt, bevor die EZB ihren Leitzins anhebt. Die ultra-lockere Geldpolitik der SNB dürfte noch über ein weiteres Jahr anhalten und vor Dezember 2019 sollte keine Zinserhöhung durch die SNB erwartet werden."

ARNAUD MASSET, SWISSQUOTE

"Die Schweizerische Nationalbank hat ihre expansive Geldpolitik wie weithin erwartet unverändert gelassen. Die Währungshüter hielten an ihrer üblichen Formulierung fest indem sie den Franken als 'hoch bewertet' bezeichneten und anerkannten, dass sich die Landeswährung seit der geldpolitischen Lagebeurteilung im Juni 'spürbar aufgewertet' hat. Nicht überraschend ließ die SNB die Gelegenheit nicht aus, auf die Risiken hinzuweisen, die für den optimistischen Ausblick vor allem in Europa durch die Handelsstreitigkeiten und politischen Unsicherheiten ausgehen. Ungeachtet dieser Warnung, bestätigte die SNB die soliden Wachstumsaussichten sowohl im Inland als auch international. Schlussendlich wurde die Inflationsprognose für das dritte Quartal nach oben revidiert, für 2019 allerdings nach unten.

Insgesamt bleibt sich die SNB selbst treu und bewegte sich nicht, während sie ihr Versprechen, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren um den Franken zu schwächen, wiederholte. Thomas Jordan wird das Risiko nicht eingehen, die Zinsen vor der EZB anzuheben. Höhere Zinsen in der Schweiz wird es nicht morgen geben."

ALESSANDRO BEE, UBS

"In ihrer monetären Einschätzung für das dritte Quartal blieb die SNB vorsichtig. Zinssätze und die wichtige Wortwahl blieben unverändert. Die Nationalbank wies auf die jüngste Aufwertung des Frankens und seine Auswirkungen auf die längerfristige Inflation hin. Die bedingte Inflationsprognose für 2020 wurde vor allem wegen des stärkeren Frankens von 1,6 Prozent auf 1,2 Prozent gesenkt. Anscheinend wird die Wechselkursbewegung nicht als nur vorübergehend angesehen.

Die SNB äußert sich vorsichtig trotz des starken Wachstums im ersten Halbjahr 2018. Die SNB wies darauf hin, dass die Schweizer Wirtschaft in den kommenden Quartalen an Schwung verlieren könnte.

Angesichts der vorsichtigen Haltung sehen wir nur eine Änderung der Geldpolitik, eine Zinserhöhung, wenn die EZB ihre Zinssätze erhöht. Das wird voraussichtlich nicht vor September 2019 geschehen. Wir erwarten nicht, dass die schweizerischen Zielzinssätze vor 2020 positiv werden.

RENATO FLÜCKIGER, VALIANT BANK

"Wie von uns erwartet, hat die SNB an ihrer aktuellen Zinspolitik nichts geändert. Sie steht nach wie vor in der Abhängigkeit zur EZB, welche ihre unveränderte Haltung bereits letzte Woche kommuniziert hat. Mit dem klar stärkeren Schweizer Franken wird der Aufwärtstrend in der Inflation gedämpft, wie dies in den von der SNB nach unten revidierten Erwartungen für die Jahre 2019 und 2020 auch ersichtlich wird: Solange die negative Realverzinsung auf einem erträglichen Niveau bleibt, reduziert dies den Druck für SNB, sich frühzeitig von den Negativzinsen zu verabschieden. Erste Zinserhöhungen durch die SNB verschieben sich somit möglicherweise nochmals weiter nach hinten. Unsere Erwartung liegt in einem ersten Schritt frühestens per Ende 2019 und die Negativzinsen könnten somit noch bis Ende 2020 bestand halten.

Trotz der nochmals wiederholten Bereitschaft, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, erwarten wir hier keine größeren Aktivitäten: Denn dank der guten konjunkturellen Lage und der mittlerweile nur noch bescheidenen Überbewertung des Schweizerfrankens kann die SNB der aktuellen Situation gelassen zuschauen und würde wohl erst wieder unterhalb des Euro-Franken-Kurses von 1,10 aktiv werden.

MAXIME BOTTERON, CREDIT SUISSE

"Während die SNB ein optimistische Einschätzung der wirtschaftlichen Situation vorgenommen und einen relativ optimistischen Ausblick abgegeben hat, hat die Zentralbank ihre Inflationsprognose ihre langfristige Inflationsprognose beträchtlich gesenkt. Damit deutet sie an, dass sie kaum erwägt, ihren Leitzins in den kommenden drei Jahren anzuheben."

THOMAS GITZEL, VP BANK

"Kurz und knapp lautet das Ergebnis der geldpolitischen Lagebeurteilung: Deutliche Veränderungen sind nicht erkennbar. Was allerdings auffällt, ist, dass im Pressetext der Schweizer Franken klar im Mittelpunkt steht. Die Bereitschaft zu Devisenmarktinterventionen wird gleich zu Beginn zweimal erwähnt. Es scheint so, dass die SNB mit Blick auf die jüngsten Aufwertungen des Franken nervös ist. Die Währung wird als "hoch bewertet" bezeichnet. Es scheint so, dass die Hürde für Eingriffe am Währungsmarkt nicht allzu hoch liegt.

Per saldo gilt: Trotz den zuletzt starken Wachstumsraten der eidgenössischen Volkswirtschaft ist die geldpolitische Lagebeurteilung von Zurückhaltung geprägt. Eine Zinserhöhung bleibt damit Zukunftsmusik. Für eine straffere Geldpolitik bedarf es aber auch höherer Inflationsraten. Die Kerninflationsrate, also die Teuerungsentwicklung ohne die volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise, bleibt auf einem sehr tiefen Niveau. Gerade hierbei müsste es zunächst merklich nach oben gehen, ehe die SNB handelt."

RICHARD MOOSER, AXA INVESTMENT MANAGERS

"Erwartungsgemäß hat die SNB ihre Geldpolitik unverändert belassen. Etwas überraschend werte ich hingegen die deutlich tieferen Inflationsprognosen, speziell für 2020, welche um 0,4 Prozent gesenkt wurden und ein Anzeichen sein könnten, dass die SNB einen anhaltend starken Franken und/oder eine wirtschaftliche Abschwächung zu erwarten scheint. Ein Zinsschritt wird bei unverändert starker Heimwährung kaum vor der EZB, sprich Herbst 2019, erfolgen."

(Reuters)

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