Thomas Mirow: "Osteuropa verliert gegen Asien"

Thomas Mirow Osteuropa verliert
Thomas Mirow Osteuropa verliert(c) AP (Ronald Zak)
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Thomas Mirow, Chef der Osteuropabank, spricht im Interview mit der "Presse" über die Fehler der österreichischen Banken, über die Opferbereitschaft der Balten und warum es lokale Kapitalmärkte braucht.

„Die Presse“: Erste-Chef Treichl meint, nirgends auf der Welt hätten sich ausländische Banken so vernünftig verhalten wie in Osteuropa. Sehen Sie das auch so?

Thomas Mirow: Nicht ganz. Es gibt Ungleichgewichte, zu denen die Banken beigetragen haben. Sie haben Kredite in fremder Währung an kleinere Unternehmen und Haushalte vergeben – also an Menschen, die nicht in der Lage sind, Währungsverluste zu tragen.

Die rasche Integration in fremde Finanzmärkte, der starke Kapitalzufluss von außen – war das Wachstumsmodell, das auch die Osteuropabank propagiert hat, falsch?

Mirow: Nein, im Grunde war es richtig. Osteuropa wäre nicht in der Lage gewesen, eigene, stabile Banken mit den nötigen Kapitalreserven aufzubauen und genug Wachstum aus eigener Kraft zu finanzieren. Aber es hat Übertreibungen gegeben. In Lettland, Litauen und Rumänien ist der Bausektor zu rasch gewachsen. Im Fall Ungarn kommen noch andere Probleme dazu: mit dem Budgetdefizit und den Devisenkrediten.

Die werden kaum noch neu vergeben, aber es gibt hohe Altbestände. Wie lange tickt die Bombe weiter?

Mirow: Es wird mehrere Jahre dauern, bis das ausläuft. Auch einen eigenen Kapitalmarkt aufzubauen, braucht diese Zeit – das schaffen Sie nicht von heute auf morgen.

Worauf kommt es dabei an?

Mirow: Man braucht Kapitalsammelstellen, eine vernünftige Regulierung, eine nicht korrupte Aufsicht – vor allem aber eine überzeugende, langfristige Politik, die Vertrauen bei Investoren schafft. Wer im Land Geld verdient, soll es nicht ins Ausland tragen, sondern zu Hause anlegen. Nicht nur, um kurzfristig hohe Renditen zu erzielen, sondern auch in den Ausbau der Infrastruktur. Erst wenn dieses Vertrauen da ist, kann man auf die Kapitalmärkte gehen.

Die Nutzung lokaler Währungen ist also das neue Heilmittel. Bis vor Kurzem haben Sie noch die Übernahme des Euro propagiert. Ist das nicht ein Widerspruch?

Mirow: Nein. Was Sie für die Erfüllung der strukturellen Eurobedingungen brauchen, das brauchen Sie auch für einen lokalen Kapitalmarkt. Außerdem bestehen ja vertragliche Verpflichtungen. Die Eurozone wird nach den jüngsten Erfahrungen sehr darauf achten, dass neue Mitglieder nicht nur kurzfristig die Maastricht-Kriterien erfüllen, sondern langfristig verlässlich sind.

Die Begeisterung für den Euro hat in Osteuropa stark nachgelassen...

Mirow: Das darf man nicht zu kurzfristig sehen. Auf die Dauer hat ein großer Währungsraum für alle Beteiligten deutlich mehr Vorteile, als wenn man allein dasteht.

In Rumänien gehen die Massen auf die Straße, um gegen die Sparpläne zu protestieren. Hat der Internationale Währungsfonds (IWF) mit den Forderungen für seinen Notkredit den Bogen überspannt?

Mirow: Das kann man dem IWF in der gesamten Krisenbewältigung der letzten Jahre wahrhaftig nicht vorwerfen. Rumänien ist auch deshalb in einer schwierigen Situation, weil es bewusst andere Wege eingeschlagen hat als vom IWF vorgeschlagen. Natürlich tun die Maßnahmen weh, aber das tun sie auch im Baltikum.

Aber dort gehen die Menschen nicht auf die Straße. Warum nicht?

Mirow: Das hat auch mit der Mentalität zu tun. Bei den Balten ist die Erinnerung an die Sowjetherrschaft noch so lebendig, dass sie bereit sind, große Opfer zu bringen, um die eben erst gewonnene Freiheit und Souveränität abzusichern.

Die meisten Staaten Osteuropas bringen ihre Finanzen schneller in den Griff als der Westen. Die Wettbewerbsfähigkeit hat sich durch Abwertungen verbessert. Das müsste die Region wieder sehr attraktiv machen. Warum ist sie es nicht?

Mirow: Sie steht ja auch im Wettbewerb mit Lateinamerika und Südostasien, die sich viel größere Wettbewerbsvorteile erarbeitet haben. Zudem fragen Investoren immer öfter: Was hat uns ein Land außer dem unmittelbaren Kostenvorteil zu bieten? Noch ist die Ausbildung in Osteuropa auf hohem Niveau, aber andere holen auf und investieren mehr. Und die demografische Entwicklung ist wie in Westeuropa, nicht wie in typischen Schwellenländern. Deshalb muss sich Osteuropa doppelt anstrengen, um ein attraktives Angebot an Arbeitskräften zu schaffen. Da gibt es sehr viel zu tun.

Zur Person

Thomas Mirow (57) ist seit 2008 Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Davor war der deutsche SPD-Politiker Finanzstaatssekretär und Senator in Hamburg. Die „Osteuropabank“ EBRD mit Sitz in London wurde 1991 gegründet, um die Staaten Osteuropas bei der Transformation zur Marktwirtschaft zu unterstützen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2010)

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