„Nur freie Menschen bauen einen Mercedes“

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Sergej Petrow, Abgeordneter in der russischen Duma und größter Autoimporteur des Landes, erklärt, warum der hohe Ölpreis Reformen noch lange verhindern wird und China kein Vorbild für Russland sein kann.

mOSKAU. Wie die Zeit, so ihr Auto. Kaum jemand sieht den Konnex zwischen politischer Freiheit und wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit so klar wie Sergej Petrow. Als größter Autoimporteur eines Landes, das 2008 zu Europas zweitgrößtem Automarkt aufgestiegen ist, verdiente er Milliarden. Als Parlamentarier opponiert er gegen die Denkmuster einer Elite, die die Modernisierung der Gesellschaft genauso behindert wie einen Qualitätssprung in der einheimischen Autoindustrie. Ein Gespräch über Startschwierigkeiten in Russland.

„Die Presse“: In zwei Jahrzehnten freier Marktwirtschaft in Russland wurden Unternehmer erst von der Mafia behindert, ab dem Jahr 2000 von milliardenschweren Geheimdienstaufsteigern unter den Beamten. Wann war der Widerstand stärker?

Sergej Petrow: Viele Unternehmer behaupten, seit 2000. Die Mafiosi hielten zumindest ihr Wort.

Sie schossen aber auch.

Petrow: Ich teile ja die Einschätzung meiner Kollegen nicht. Heute kann man immerhin Beschwerde einlegen. Aber in den Neunzigern wurde die Grundlage für jene marktwirtschaftlich orientierten Firmen geschaffen, die nun 30 Prozent der Wirtschaft ausmachen. Jetzt fahren sie ihre Aktivität zurück. Damals gab es noch Aussicht auf Verbesserung.

Fehlt diese Perspektive heute?

Petrow: Die staatlichen Institutionen werden wieder schlechter. Die Gerichte waren in den Neunzigern zwar auch nicht frei, aber es besserte sich. Bis Putin die Gerichte den neuen Machthabern unterwarf. Wenn Menschen mit solchen Vollmachten beginnen, Richter zu lenken, was dann?

Was wiegt schwerer? Dass Öffnung und Demokratie von oben behindert werden oder dass die Nachfrage danach von unten fehlt?

Petrow: Freilich Letzteres. Im Übrigen heißt es, dass der Staatsmann, der nur den Willen des Volkes ausführt, kein Staatsmann ist. Er sollte dem Volk voraus sein und es ziehen. Putin aber fühlt vor allem den Zeitgeist und will ihn anführen.

Wundert Sie das, wo er doch beliebter ist als der junge Kremlchef Dmitrij Medwedjew, der zu Modernisierung und Liberalisierung aufgerufen hat?

Petrow: Das Volk will keinen Liberalismus. Putin ist noch der Liberalste unter den Geheimdienstlern. Gleichzeitig schart er Leute um sich, die täglich Entscheidungen gegen Liberalisierung treffen.

Die Wirtschaftskrise zeigt wohl auch Hardlinern Grenzen auf. Führt sie nicht zwangsweise zu Reformen?

Petrow: Es wird nicht zu Reformen kommen. Solange der Ölpreis erlaubt, Probleme zu vertuschen, bleibt Putin populär. Auf Medwedjews Aufruf zu Reformen reagiert außer einigen Liberalen niemand.

Sind die Unternehmer unsicher, auf wen sie setzen sollen?

Petrow:In Russland gibt es zwei Arten von Business: jenes der Nomenklatur, das Putin unterstützt, und das der marktwirtschaftlich orientierten Unternehmer, die Stabilität suchen. Weil das Beamtentum immer stärker wird, nehmen Hass und Gereiztheit unter den Unternehmern zu. Nicht der Unternehmer ist bei uns König, der Beamte ist der King.

Sie sagten einmal, dass die russische Autoproduktion eigentlich nur noch eine soziale Funktion ausübe. Ist mit der Krise der Todesstoß gekommen?

Petrow: Pragmatische Leute denken so. Unsere Automanager wurden aber nicht zur Konkurrenz erzogen, vertrauen auf den Staat und werden fett. Die Betriebe werden von der Konkurrenz abgeschottet. Die Zwischenstellung zwischen Europa und Asien zwingt uns offenbar zu denken, dass wir es wieder auf die alte Weise probieren müssen.

Mit dem Kauf von Opel wollte man doch einen neuen Weg gehen.

Petrow: Den sehe ich nicht. Know-how zu kaufen könnte prinzipiell funktionieren, aber nur, wenn etwa Opel der Käufer wäre. Die Frage ist, wie sich Know-how auf niedrigem Niveau implementieren lässt. Ein Beispiel: Bei uns erhält ein Mechaniker seinen Lohn prozentuell von der Rechnung, die er ausstellt. Er will daher logischerweise mehr reparieren als nötig. Um das zu ändern, stellt der Betrieb jemanden ein, der den Mechaniker kontrolliert und dazu anhält, nur nötige Reparaturen durchzuführen. Das Systemproblem bleibt ungelöst.

Ist die Übernahme durch ausländische Autobauer die einzige Lösung?

Petrow: Das ist eine Chance, reicht aber nicht. Wenn etwa Renault Avtovaz übernähme (hält heute 25 Prozent der Anteile, Anm.), dann stünden die Franzosen einer Gewerkschaft gegenüber, die dem Staat unterworfen ist. Und die so mächtig ist, dass sie den ganzen Betrieb zusammenhaut.

Ökonomen diskutieren die Möglichkeit eines chinesischen Weges für Russland. Politisch autoritär, aber dahinter eine blühende Ökonomie. Kann das gelingen?

Petrow: Nirgends ist das gelungen. Die chinesische Form ist nicht interessant; auch dort wird die autoritäre Regierung früher oder später den marktwirtschaftlichen Prozess bremsen. Man kann zwar imitieren. Ein Mercedes kann aber nur von freien Menschen gebaut werden.


Viele Unternehmer sitzen im russischen Parlament, wohl um Lobbying zu betreiben. Warum sind Sie Politiker geworden?

Petrow: Um etwas am Businessklima im Land zu verbessern. Sie glauben nicht, was man in der Duma erleben kann! Beamte erklären mir, dass die Unternehmer Feinde des Volkes sind und bestohlen werden müssen. Uns gelingt es immerhin, kleine Korrekturen bei Gesetzesanträgen anzubringen.

In Russland gilt es als offenes Geheimnis, dass Plätze in der Duma für Millionen Dollar gekauft werden. Wollte man auch von Ihnen Geld?

Petrow: Ja. Man ist davon ausgegangen, dass ich der Partei eine gewisse Hilfe leiste. Aber das ist kein Aufnahmeticket in die Duma. Es waren freiwillige Hilfen, etwa für eine Region, in der das Geld fehlte.

zur Person

Sergej Petrow (55) liebt es zu opponieren. Anfang der Achtziger wurde der damalige Major der Luftstreitkräfte vom KGB verhaftet, weil er eine subversive Vereinigung gegründet hatte. Heute sind KGB- Abkömmlinge wieder an der Macht und betrachten die Aktivitäten der Privatwirtschaft mit Argwohn.

Vor zwei Jahren gab Petrow die Aktien an seinem Autohandelsunternehmen ab und verschrieb sich als Abgeordneter der Partei „Gerechtes Russland“ dem Lobbying für den Autosektor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2010)

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