Wissenschaft: Die Nettozahler im Lebenskreis

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Forscher haben die Umverteilung zwischen Generationen und Geschlechtern neu bewertet: Österreicher erwirtschaften im Schnitt 35 Jahre lang mehr Geld, als sie konsumieren.

Die Bevölkerung in den Industriestaaten altert und bekommt immer weniger Kinder – was bekanntlich für das Pensionssystem zum Problem wird. Ausgedrückt wird die demografische Entwicklung üblicherweise durch den „Abhängigkeitsquotienten“: Demnach kamen 2011 auf 100 Menschen im Erwerbsalter (zwischen 20 und 64 Jahren) 33,5 Kinder und 28,6 ältere Menschen – zusammen also 61,5 Menschen, die nicht erwerbstätig sind und von privaten und öffentlichen Transferleistungen leben. Laut Prognosen wird die Altersabhängigkeitsquote binnen zehn Jahren auf rund 65 Prozent (wobei der Anteil Jugendlicher sinkt und der von Senioren stark steigt.)

Diese Statistiken sind aber höchstens die halbe Wahrheit: Erstens sagen die Abhängigkeitsquoten nichts über über tatsächliche Transferleistungen aus; und zweitens werden die starren Altersgrenzen der Realität nicht gerecht (auch wenn die Statistik Austria erst kürzlich die Alterslimits von 15/59 Jahren auf 20/65 Jahre aktualisiert hat).

Forscher der TU Wien um Alexia Fürnkranz-Prskawetz sind daher einen anderen Weg gegangen: Sie haben im Rahmen des EU-Projekts WWWforEurope für jeden Jahrgang das durchschnittliche Einkommen und den Konsum bewertet. Bei Personen im Erwerbsleben sind die Einkünfte größer als die Ausgaben – umgekehrt ist es bei Jugendlichen und älteren Personen.

Bei zwei Altersgrenzen kippt der Saldo: Österreicher verdienen demnach im Alter von 24 Jahren erstmals mehr, als sie verbrauchen, die ökonomische Altersabhängigkeit beginnt mit 59 Jahren. Beide Werte sind im EU-Vergleich untypisch: In Deutschland oder Italien liegt die untere Altersgrenze bei 27 – die Erklärung ist die Lehrlingsausbildung in Österreich; auch die obere Altersgrenze ist in vielen Ländern höher (in Deutschland z. B. bei 60, in Schweden bei 63 Jahren). Anders formuliert: In Österreich liegt die Zeitspanne, in der ein Mensch mehr erwirtschaftet als konsumiert – und in der Transfers an Jüngere und Ältere möglich sind – bei rund 35 Jahren. Dieser Wert liegt in der Mitte der Vergleichsländer: Schweden erwirtschaften 37 Jahre mehr, als sie konsumieren, Deutsche 33, Slowenen nur 31 Jahre. Ergo: Die starren Altersgrenzen der Abhängigkeitsraten in der Statistik sagen nur wenig über die Realität in den verschiedenen Ländern aus.

Aber auch diese Anpassung ist noch nicht die ganze Wahrheit. Denn die Altersgrenzen unterscheiden sich zwischen Männern und Frauen: In Österreich findet der Übergang in die ökonomische Abhängigkeit bei Frauen schon mit 55 statt, bei Männern mit 59. (Deutschland: Frauen 53, Männer 61 Jahre). Dieser Geschlechterunterschied (und auch die Differenz der Lebenseinkommen; laut offiziellen Daten geht nur ein Drittel der Arbeitseinkommen an Frauen) wird kleiner, wenn man die unbezahlte Arbeit einbezieht (Kindererziehung, Hausarbeit) – was freilich kaum objektiv bezifferbar ist.

Fürnkranz-Prskawetz zieht daraus zwei Folgerungen. „Die Altersgrenze, bei der das Lohneinkommen unter die Konsumausgaben sinkt, muss nach oben verschoben werden, insbesondere angesichts der steigenden Lebenserwartung. Das wird nur durch höhere Zu- und Abschläge je nach Pensionsantrittsalter möglich sein.“ Und: Bei einer Reform des Sozialsystems müssten auch unbezahlte Leistungen berücksichtigt werden.

Beide Befunde sind wichtige Steinchen für das Ziel des EU-Projekts Welfare, Wealth and Work for Europe, in dem unter Leitung von Wifo-Chef Karl Aiginger 33 Forschergruppen aus zwölf EU-Staaten zusammenarbeiten (Budget: 10,5 Mio. Euro, davon acht Mio. Euro EU-Förderung), um fundierte Grundlagen für einen neuen Wachstums- und Entwicklungspfad Europas zu legen.

www.foreurope.eu

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2013)

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