Adamovich: „Die Unverschämtheit ist gestiegen“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der frühere VfGH-Präsident und jetzige Berater des Bundespräsidenten sieht das Bewusstsein für Recht und dafür, was sich gehört, schwinden. Ein Gespräch über Polizei, Korruption und den Fall Arigona.

Die Presse: Wir sitzen in der Präsidentschaftskanzlei. Werden hier viele Geschenke abgegeben?

Ludwig Adamovich: Ja, Sachen, die international üblich sind. Der Kabinettsdirektor lässt die Dinge penibel registrieren, und man überlegt sorgfältig, sie gegebenenfalls an andere Institutionen weiterzugeben.

Die Transparenz wird nicht überall so großgeschrieben. Der Verein der Freunde der Wiener Polizei, der auch viele Geschenke bekam, steht unfreiwillig im Rampenlicht.

Adamovich: An und für sich hat so ein Verein einen guten Sinn. Ungemütlich sind die Dinge, die sich in einem gewissen Halbdunkel abspielen, wo der Humus bereitet wird für irgendwelche anderen Geschichten. Dabei muss man unterscheiden zwischen dem, was ein strafrechtlicher Tatbestand ist – da muss es einen Beweis und eine gerichtliche Entscheidung geben –, und dem Humus, auf dem dann solche Sachen gedeihen. Das ist etwas, wo man die Dinge riechen kann, aber nicht beweisen.

Prominente bitten einen befreundeten Polizeichef, er möge ihnen einen Rat geben, was sie mit ihrer Anzeige tun sollen. Gibt es da nicht ein hohes Maß an Schamlosigkeit auch unterhalb der Strafbarkeit?

Adamovich: Man muss einen Unterschied machen zwischen dem strafrechtlichen Kalkül und dem, was Sie als Schamlosigkeit bezeichnen. Die ist da. Bei all dem spielt die Verhaberung eine Rolle. Sie bedeutet keineswegs notwendig Rechtsbruch. Aber sie bedeutet: Wir gehören alle irgendwie zusammen, und wir helfen uns gegenseitig. In einem gewissen Bereich ist das harmlos; schwieriger wird die Sache, wenn Manager, Politiker, hohe und höchste Beamte irgendwie zusammengehören. Was da herauskommt, kann bedenklich sein im Sinn von Humusbildung. Die Verhaberung ist zweifellos ein österreichisches Phänomen.

Mehr als in anderen Ländern?

Adamovich: Bei Korruption gibt es ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Die skandinavischen Staaten sind offenbar die cleansten, auch die Briten. Bissl weiter südlich ist es nicht mehr so. Italien: na ja. Und vom Balkan wollen wir gar nicht reden.

Der Präsident der deutschen Bundesbank musste gehen, als bekannt wurde, dass er sich von einer Bank auf eine Nacht in einem Hotel einladen ließ. Bei uns lässt sich ein Finanzminister von einem Bankchef auf eine Yacht einladen.

Adamovich: Das sind Dinge, die strafrechtlich wahrscheinlich nicht zu beanstanden sind, die sich aber nicht gehören.

Wo sehen Sie die größte Korruptionsanfälligkeit?

Adamovich: Anfälligkeit gibt es überall. Aber es gibt Bereiche, die von ihrer Aufgabenstellung her besonders gefährdet sind: Justiz und Polizei.

Den Baubereich nennen Sie nicht?

Adamovich: Da ist das immer behauptet worden, auf allen Ebenen, vor allem im Gemeindebereich – dass Beamte erwarten, dass ein bisschen was auf dem Tisch liegt, oder dass Bürgermeister sagen: Passt auf, wenn ihr eine Baubewilligung wollt, dann wählt mich das nächste Mal. Solche Späße gibt es mit Sicherheit, aber ich habe keinen erlebt.

Und Justiz und Polizei?

Adamovich: Justiz kann man bei uns, glaube ich, vergessen. Aber Polizei ist noch um Vieles gefährdeter. Auch international ist die Kriminalpolizei auf Zusammenarbeit mit Konfidenten und bestimmten Milieus angewiesen. Eine Kriminalpolizei, die sagt, sie will davon nichts wissen, gehört in die Heilsarmee. Ausrichten wird sie nichts. Nur irgendwo gibt es eine rote Linie, jenseits derer es ungemütlich wird.

Wann ist die überschritten?

Adamovich: Wenn es gerichtsanhängig wird. Die Frage der Dunkelziffer ist aber groß. Es ist durchaus denkbar, dass es ähnliche Geschichten wie Horngacher, der ein Paradebeispiel für das ist, was man da anstellen kann, früher auch gab. Nur sind sie nicht erwiesen.

Wächst die Schamlosigkeit?

Adamovich: Ich habe das Gefühl, dass die Ungeniertheit ganz allgemein zugenommen hat, auch ohne dass das etwas mit Korruption zu tun hätte. Die Unverschämtheit generell ist gestiegen, auf allen nur denkbaren Ebenen. Das zieht sich durch von der Art und Weise, wie sich die Leute im Straßenverkehr und in den Öffis benehmen, bis zu Dingen, die sich einfach nicht gehören.

Muss man nicht das Gefühl haben, man ist blöd, wenn man sich an Regeln hält, ohne dass man bei einem Verstoß erwischt werden kann?

Adamovich: Nehmen Sie zwei aktuelle Beispiele. Bei der Zuverdienstgrenze zum Kindergeld hat der damalige Vizekanzler Haupt sogar angewiesen, dass man es nicht verfolgen wird, wenn jemand überzogen hat. Dann ist die Ministerin Kdolsky gekommen und hat gesagt, das geht nicht – womit sie ja Recht hatte –, und dann hat Ministerin Bures die Sache wieder anders gesehen. Das ist der klassische Fall, wo der Korrekte sich deppert vorkommen muss. Dazu kommt, dass Haupt das mit seiner Maßnahme gefördert hat. Da haben Sie das klassische Beispiel: „Mir san ja so tolerant. Wenn einer sich dran halt, is' gut, wenn nicht, simma halt menschlich.“

Das zweite Beispiel: Arigona?

Adamovich: Ja. Das ist ein extrem vielschichtiger Komplex. Das Fremdenrecht ist sicher reformbedürftig, das ist ziemlich klar. Es gibt Verfahren, die viel zu lange dauern, das ist auch vollkommen klar. Nur: Was da aufgetaucht ist mit den humanitären Überlegungen, ist ein Problem. Wenn es sich nicht gerade um einen geisteskranken Kinderschänder oder einen Kassenschränker handelt, werden Sie bei kaum jemandem, der schon länger da ist, aber kein Aufenthaltsrecht hat, nicht irgendwelche humanitären Erwägungen finden. Unter diesem Aspekt muss man so gut wie jeden da lassen. Das geht nicht gut.

Was müsste man tun?

Adamovich: Viel klarer festlegen, unter welchen Voraussetzungen ein starres Prinzip durchbrochen werden kann. Nur muss man aufpassen, dass das dann auch gleichmäßig gehandhabt wird. Der Kriterienkatalog, von dem Innenminister Platter gesprochen hat, gehört ins Gesetz hinein. Aber was da in der Öffentlichkeit für Meinungen vertreten werden, das ist eine glatte Katastrophe. Es braucht nur jemand hübsch ausschauen und erklären, er wird sich umbringen, Videobotschaften und so weiter, dann ist er der gefeierte Fall. Aber wenn das nicht die herzige Arigona ist, sondern ein hässlicher Tschetschene, möchte ich wissen, was die Leute sagen.

Die Rechtsordnung kann nur funktionieren, wenn die Menschen in ihrer Mehrzahl ein Rechtsbewusstsein haben und ihr Verhalten nach der Norm nicht davon abhängig machen, ob sie erwischt werden.

Bei Rauchverboten funktioniert das nicht immer.

Adamovich: Was mich beschäftigt, ist nicht, wie man die Grenzen zieht in den Wirtshäusern, sondern: Was geschieht mit den Menschen, die sich nicht daran halten? Und die wird es natürlich in rauen Mengen geben. Über kurz oder lang haben Sie dieselbe Geschichte à la Kindergeld wieder: Wer brav ist, hält sich daran, wer nicht brav ist, hält sich nicht daran, und verfolgen tun wir das nicht, weil wir sind ja so tolerant. Das ist ein Nonsens, und trifft den Rechtsstaat in den Wurzeln. Denn das ist eine falsche Toleranz. Das macht mir Sorgen. Das Rechtsbewusstsein ist verloren gegangen. Auch in der Politik.

ZUR PERSON: Ludwig Adamovich

Von Judenplatz zu Ballhausplatz. Ludwig Adamovich war 18 Jahre lang Präsident des Verfassungsgerichtshofs (mit Sitz am Wiener Judenplatz): von 1984 bis 2002. Bundespräsident Fischer holte ihn 2004 als Berater in verfassungsrechtlichen Fragen in die Hofburg.

Auf Vaters Spuren. Ludwig Adamovich wurde am 25. August 1932 in Innsbruck geboren. Er folgte seinem Vater Ludwig Adamovich nicht nur in dessen Lehrtätigkeit an der Universität Graz nach, sondern auch im Amt als VfGH-Präsident, das der Senior von 1946 bis 1955 innegehabt hatte.

Chef des Verfassungsdienst. Am Ballhausplatz war Adamovich auch vor seiner Zeit am VfGH tätig, wenn auch auf der anderen Seite: Er arbeitete 18 Jahre lang im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, sieben Jahre lang als dessen Leiter.

Konflikt mit Haider. Das Ende seiner Amtszeit am Höchstgericht war überschattet von einem Konflikt mit Kärntens Landeshauptmann Haider rund um jene Entscheidung, nach der ab zehn Prozent Minderheitenanteil zweisprachige Ortstafeln aufzustellen seien. Ein von Adamovich selbst angeregtes Amtsenthebungsverfahren lehnte der VfGH ab: Haiders Vorwurf, Adamovich habe sich „unwürdig“ verhalten, war haltlos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2007)

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