Ukraine droht der Ausverkauf des Energiesektors

(c) EPA (MAXIM SHIPENKOV)
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So wie nun mit der Ukraine verfuhr Russland vor Jahren mit Weißrussland. Zuerst wird mit der Forderung nach unbezahlbaren Weltmarktpreisen Druck gemacht. Dann wird der Energiesektor übernommen.

Kiew.Der Gasstreit mit Russland wird für die Ukraine, die in die EU und in die Nato strebt, zur existenziellen Bedrohung. Das Land könnte wichtige Teile seines Energiesektors an Russland verlieren und läuft Gefahr, einen Teil seiner Unabhängigkeit einzubüßen.

Der desolate Zustand des ukrainischen Energiesektors hat einen entscheidenden Anteil an der Krise. Das Staatsunternehmen Naftogas arbeitet unwirtschaftlich. Naftogas ist hoch verschuldet und stand öfters vor dem Bankrott. Im September wird eine Anleihe in Höhe von 500 Millionen US-Dollar fällig, die dem Unternehmen zur Modernisierung gewährt worden war. Was mit den Mitteln geschehen ist, ist ebenso unklar wie die Verträge, die das Unternehmen mit dem russischen Monopolisten Gazprom abgeschlossen hat.

Um Transparenz in den ukrainischen Energiesektor zu bekommen, fordern Experten die Entflechtung der teilweise aus Zeiten der Sowjetunion bestehenden Strukturen. „Als wichtigster Punkt gilt eine ökonomisch zwingende Preisanpassung, insbesondere bei den inländischen Haushaltskunden“, sagt Robert Kirchner von der Deutschen Beratergruppe bei der ukrainischen Regierung. Bisher hat die Ukraine 180 US-Dollar für 1000 Kubikmeter Gas bezahlt, den privaten Haushalten lieferte sie den Rohstoff für 90 US-Dollar. Alleine Ende 2008 beliefen sich Schulden auf rund 2,5 Mrd Euro, die das Unternehmen nur dank neuer Kredite begleichen konnte.

Als Ausweg aus der Krise gilt die Privatisierung von Naftogas. Bereits 2002 sprachen sich die Spitzen von Deutschland, Russland und der Ukraine, Gerhard Schröder, Wladimir Putin und Leonid Kutschma, dafür aus, ein internationales Konsortium bestehend aus Russland und westeuropäischen Staaten solle den ukrainischen Energiesektor modernisieren. Nun kursieren in russischen Zeitungen Gerüchte, die USA könnten das Gastransportsystem der Ukraine übernehmen. Einen erneuten Anlauf zur Reform des ukrainischen Energiesektors soll Ende März eine internationale Investitionskonferenz in Brüssel auf den Weg bringen.

Reform des Energiesektors

Die entscheidenden Akteure aus der EU, der Ukraine, Russland, Energie- und Finanzkonzerne wollen als ersten Schritt die Modernisierung des ukrainischen Gastransportnetzes in Angriff nehmen. Zudem ist der EU daran gelegen, Naftogas und Gazprom zu mehrjährigen Lieferverträgen mit einem schrittweisen Übergang zu Marktpreisen zu bewegen. Die Frage ist, ob es nicht zu spät für solche Reformüberlegungen ist. Naftogas läuft Gefahr, sein unterirdisches Speichersystem, Pumpstationen sowie die Pipelines zu verlieren. „Der Verkauf der verbliebenen Werte des Unternehmens ist akut“, sagt Nico Lange, Leiter des Kiewer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung. Vor dem Hintergrund, dass es keinen gültigen Vertrag zu Gaslieferungen zwischen Russland und der Ukraine gibt, fordert Gazprom von der Ukraine in Zukunft „utopische“ Weltmarktpreise von 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas. Mit Weißrussland ist Moskau vor Jahren ähnlich verfahren.

Seitdem befindet sich nahezu die gesamte Infrastruktur des belorussischen Energiesektors in der Hand von Gazprom. Der ökonomische Druck auf die Ukraine ist enorm. Laut Robert Kirchner könnte das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine um vier bis sechs Prozent einbrechen. Die Inflation wird heuer bei 15 bis 20 Prozent erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2009)

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