Europa vertraut den eigenen Ratings nicht

Die EZB verlässt sich weiterhin auf die Ratings der Amerikaner.
Die EZB verlässt sich weiterhin auf die Ratings der Amerikaner.(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Eine europäische Ratingagentur war lange nur ein Traum. Jetzt gibt es sogar schon 26 Stück. Das Problem: Ausgerechnet der Großkunde EZB verlässt sich weiterhin auf die Amerikaner.

Wien. Es gibt eine Sache, da sind sich alle einig. Die Großen und die Kleinen, die Amerikaner und die Europäer. Nämlich dass Deutschland, die Konjunkturlokomotive Europas, sich das Top-Rating Triple A einfach verdient hat. Das sehen Moody's, Standard & Poor's und Fitch so. Das sieht auch die Creditreform so.

Das bereits 1879 in Mainz gegründete Traditionsunternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, zu einer europäischen Ratingagentur aufzusteigen – und hat deshalb die Staaten der Eurozone und ein paar andere Länder schon bewertet. Allerdings: Der Weg ist steinig für den Newcomer mit langer Geschichte. Auch weil Europa sich mit sich selbst schwertut.
Rückblick: Auf dem Höhepunkt der Eurokrise in den Jahren 2011 und 2012 hatten Politiker und Bürokraten den Feind schnell gefunden: Das US-dominierte Rating-Trio S & P, Moody's und Fitch. Vor der Finanzkrise waren diese Firmen in der breiten Öffentlichkeit fast unbekannt. Danach mussten sie wegen ihrer teils haarsträubend schlechten Arbeit massive Kritik einstecken. Ein Beispiel: Lehman Brothers hatte nur wenige Tage vor dem Zusammenbruch noch durchwegs solide Ratings.

Die Lösung aus Brüssel: Eine europäische Ratingagentur muss her! Sechs Jahre später gibt es die. Creditreform zählt sogar bereits 26 derartige Agenturen in Europa – sich selbst eingeschlossen. Einzig: Aller Anfang ist sehr schwer. Bisher konnte sich Creditreform nur 0,5 Prozent des Marktes in Europa sichern – und man sieht sich ausgerechnet durch die Europäische Zentralbank (EZB) behindert.

Knackpunkt EZB

„Die Konzentration im Ratingmarkt hat sich nicht geändert durch die Bewilligung und Regulierung von Ratingagenturen in Europa. Der Anteil der US–Agenturen ist sogar gestiegen“, sagt Creditreform-Vorstand Michael Munsch am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wien: „Und die EZB ist für den Wettbewerb bei Ratingagenturen besonders relevant.“ Es ist nämlich so: Die EZB kauft jeden Monat für zig Milliarden frisch gedruckte Euro Wertpapiere: Bankanleihen, Unternehmensanleihen, Pfandbriefe und Staatsanleihen. Rund 16.000 Papiere kommen laut Creditreform infrage.

Aber ausgerechnet die Europäische Zentralbank akzeptiert nur Ratings der großen drei US-Agenturen. Das ist auf den ersten Blick natürlich sinnvoll: So kann sich die EZB nicht vorwerfen lassen, sich bei ihrer ohnehin umstrittenen Geldpolitik auf möglicherweise allzu gefällige Ratings von bisher wenig bekannten Agenturen aus Europa zu verlassen. Andererseits werden die europäischen Agenturen aber nie groß werden können, wenn nicht einmal die EZB auf sie vertraut. Eine Zwickmühle.
Immerhin: Die EZB hat die Tür inzwischen ein Stück weit geöffnet. Sie will Ratingagenturen eine Chance geben, die über vier Jahre auf eigene Kosten relevante Ratings erstellen. Deswegen hat sich die Creditreform jetzt an die Beurteilung der Kreditwürdigkeit der Eurostaaten gewagt: „Wir hoffen, dass die EZB früher zur Einsicht kommt und sagt, okay – mit denen machen wir es doch.“

Das Ergebnis: „Wir haben eine überwiegend positive Sicht auf den Euroraum. Das spiegelt sich auch in den Ratings wider“, sagt Creditreform-Chefvolkswirt Benjamin Mohr. Auch Österreich wird durchwegs positiv bewertet. Einzig die hohe Staatsverschuldung plagt die Experten: „Die wesentlichen Schwachstellen liegen im fiskalpolitischen Bereich. Hier braucht es eine nachhaltige Entwicklung in Österreich.“ (jil)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2017)

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