Kanzler Christian Kern: "Ich halte dieses Konzept für undurchdacht". ÖVP-Chef Sebastian Kurz: "Was wir vermeiden müssen, ist, dass es so eine Situation wie in Griechenland wieder gibt." Beide lehnen die jüngsten Pläne von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ab.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude muss noch viel Überzeugungsarbeit für seinen Plan leisten, die Eurozone und den Schengenraum auf alle Staaten der Union auszudehnen. Österreichische Politiker reagierten am heutigen Donnerstag skeptisch bis ablehnend auf beide Ideen, der niederländische Premier Mark Rutte empfahl Juncker scherzhaft, einen Augenarzt aufzusuchen.
"Ich gehöre eher zu den Wenn-Du-Visionen-hast-dann-geh-zum-Arzt-Typen", zitierte der niederländische Rechtsliberale das legendäre Zitat des früheren deutschen Kanzlers Helmut Schmidt. Für schlechte Stimmung bei den EU-Regierungschefs sorgte Juncker mit seiner Idee, den Posten des EU-Ratspräsidenten abzuschaffen und einen EU-Kommissar zum Vorsitzenden der Eurogruppe zu machen. Ein klares Nein zur Abschaffung des EU-Gipfelpräsidenten kam auch vom dänischen Premier Lars Lökke Rasmussen.
In ungewohnter Einigkeit gingen die Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und sein Herausforderer Sebastian Kurz (ÖVP) auf Distanz zum Juncker-Plan. "Ich halte dieses Konzept für undurchdacht", sagte Kern im Ö1-Morgenjournal und verwies auf Griechenland. "Was wir vermeiden müssen, ist, dass es so eine Situation wie in Griechenland wieder gibt", betonte auch Kurz.
Es brauche ein Mehr an Europa in wirtschaftlichen Fragen, beim Kampf gegen Steuerbetrug, Lohn- und Sozialdumping. "Bevor alles das nicht erledigt ist, macht eine Erweiterung der Eurozone einfach keinen Sinn, weil das vergrößert die Problemlagen", sagte Kern. Der ÖVP-Chef sagte: "Der Euro und die Schengenzone, die waren und sind für jeden offen, allerdings nur für jeden, der auch die Kriterien erfüllt. Solange die Kriterien nicht erfüllt sind, kann das nicht stattfinden."
Ebenfalls im Gleichklang präsentierten sich SPÖ und ÖVP, was die von Juncker geforderte Erweiterung des Schengen-Raumes um Bulgarien und Rumänien betrifft. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) forderten eine Erfüllung der Beitrittskriterien durch die beiden Staaten. Die rechtliche Einhaltung des Schengenraumes sei zu garantieren, "dann kann man weiter darüber nachdenken", sagte Sobotka beim EU-Innenministerrat in Brüssel. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist das aus meiner Sicht nicht zu diskutieren", sagte Doskozil der APA in Wien. Man müsse stattdessen jetzt eine Lösung finden, wie man den Schengen-Kodex für weitere Grenzkontrollen ändere.
Strache an Juncker: Nichts gelernt
Nachdem der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas am Mittwoch in einer ersten Reaktion gefordert hatte, Österreich solle sich zum "Motor der Juncker-Pläne" in der EU zu machen, fiel das Echo auch bei den Oppositionsparteien skeptisch aus. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bezeichnete Juncker als "Zentralisten", der aus dem Brexit nichts gelernt habe und nun offenbar auch Staaten, die das gar nicht wollten, in den Euro zwingen wolle. Die Grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek und NEOS-Chef Matthias Strolz stellten ebenfalls Bedingungen für eine Eurozonen-Erweiterung und forderten eine Reparatur des Schengen-Raumes anstelle seiner Erweiterung.
Wohlwollender reagierten deutsche Regierungspolitiker, obwohl Junckers kühne Reformansagen von Beobachtern als Bärendienst für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Wahlkampffinale kommentiert wurden. Finanzminister Wolfgang Schäuble bezeichnete es als gut, dass Juncker "Druck und Tempo macht", verwies aber auf das Beispiel Griechenland. Dieses zeige, wie wichtig es für Länder sei, alle Kriterien für die Gemeinschaftswährung zu erfüllen. Innenminister Thomas De Maiziere ließ ebenfalls grundsätzliche Sympathie für Juncker erkennen und sagte: "Die Vision, dass der Schengenraum mit dem Raum der EU identisch werden könnte, teile ich, aber ehrlich gesagt, ist es noch ein ziemlich langer Weg."
Schäuble mahnt zur Vorsicht
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble unterstützt grundsätzlich die Pläne von Juncker, den Euro in allen EU-Ländern einzuführen. Im Interview mit dem ARD verwies der CDU-Politiker jedoch darauf, dass die Länder auch die wirtschaftliche Voraussetzung mitbringen müssten. Laut Schäuble heiße das, dass man auch die Bevölkerung in den Mitgliedsstaaten überzeugen müsse. Deshalb sei es gut, dass Juncker Druck und Tempo mache. "Aber die Voraussetzungen müssen erfüllt sein." Es sei klar, "dass Länder erst in der Lage sein müssen, auch mit einer stabilen, harten Währung, über die sie selber nicht mehr durch Abwertung entscheiden können, wirtschaftlich auszukommen. Wenn man das zu früh macht, hat man Probleme" - wie mit Griechenland in den letzten Jahren. Die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in der Euro-Gruppe sei im Lissabon-Vertrag geregelt.
Schäuble betonte, dass nur wenn es den anderen EU-Ländern gute gehe, es auch Deutschland gut gehe. "Es geht nicht darum, Geld zu verteilen." Auch einer Vergemeinschaftung von Schulden trat er erneut entgegen. Dies sei "Gift für Europa", sagte er.
Nowotny: "Qualität geht vor"
Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), Ewald Nowotny, pochte auf eine strikte Erfüllung der Maastricht-Kriterien. "Qualität geht vor Geschwindigkeit", betonte er. Eine Aufweichung der Aufnahmekriterien sei "im Interesse der langfristigen Stabilität der europäischen Wirtschaft (...) strikt abzulehnen". Neben den eigentlichen Euro-Beitrittskriterien sollten "unbedingt" auch "realwirtschaftliche Kriterien" berücksichtigt werden, unterstrich der OeNB-Chef. "Für eine nachhaltige Erfüllung dieser Konvergenzkriterien ist ein fortgesetzter wirtschaftlicher Aufholprozess notwendig, der sich insbesondere in der Wirtschaftsdynamik, der Beschäftigung und im Pro-Kopf-Einkommen widerspiegelt."
(APA)