Analyse

Deutschland verliert seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz

(c) APA/AFP/ROBERT ATANASOVSKI
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Die künftige Große Koalition hat die CO2-Ziele für 2020 aufgegeben. Den Nimbus der „Klimakanzlerin“ ist Merkel damit endgültig los.

Wien. Hart gerungen wird in den deutschen Sondierungsgesprächen. Aber in einem Punkt waren sich die Verhandler von Union und SPD rasch einig: Sie entsorgen das Klimaziel bis 2020. Es sei „praktisch unmöglich“, bis dahin den CO2-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken.

Politisch ist diese Kapitulationserklärung heikel. Sie schwächt die Glaubwürdigkeit von Angela Merkel. Die Kanzlerin hatte im Wahlkampf zugesichert, dass Deutschland das Ziel schaffen werde: „Das verspreche ich Ihnen“. Dass ihre Verhandler es nun so einfach „wegsondieren“, zeigt auch, wie angeschlagen die Autorität der Regierungschefin ist. Vor allem aber ist das eingestandene Scheitern ein denkbar schlechtes Signal nach außen. Deutschland hat sich in den internationalen Klimakonferenzen immer als Antreiber präsentiert. Seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 galt Merkel als die „Klimakanzlerin“.

Die damalige Große Koalition legte die 40 Prozent bis 2020 als nationales Ziel fest, ohne globale Vorgabe. Nun zieht sich die vermutliche künftige Regierung auf ein Ziel für 2030 zurück, das sie als EU-Vorgabe ohnehin erfüllen muss. Wie sehr die Vorreiterrolle verblasst ist, zeigte sich schon im November: Bei der Klimakonferenz in Bonn verkündeten 23 Staaten ihren baldigen Ausstieg aus der Kohle. Darunter waren Kaliber wie Großbritannien, Frankreich und Kanada – nicht aber Deutschland, bis heute der weltweit größte Förderer der besonders klimaschädlichen Braunkohle.

Freilich gingen Experten schon seit geraumer Zeit davon aus, dass die 40 Prozent nicht mehr zu erreichen sind. Sie rechnen stattdessen nur mit minus 32 Prozent zu 1990.

Emissionen stagnieren

Das klingt auf den ersten Blick auch nicht schlecht. Aber der größte Teil der Reduktion erfolgte schon in den Neunzigerjahren. Sie ist einfach der Wiedervereinigung zu verdanken: Alte, besonders ineffiziente DDR-Kohlemeiler wurden damals zugesperrt.

In den zehn Jahren seit Heiligendamm passierte im Ergebnis nichts mehr: Die Emissionen stagnieren in Summe – trotz der Energiewende mit dem forcierten Ausbau erneuerbarer Energien, bei dem man die Deutschen weiterhin weltweit als Vorbild sieht.

Das hat mehrere Gründe: So rasch sich die Solarpanele und Windräder vermehren, so stockend verläuft der Netzausbau. Fossile Kraftwerke müssen bei Flaute und grauem Himmel weiterhin einspringen, um für eine bestimmte Region die Versorgung zu sichern.

Bei den anderen großen Quellen der Treibhausgase – Verkehr, Heizen und Industrie – hat sich viel weniger getan. Die Förderung für thermische Sanierung blieb nicht sehr ambitioniert, das Tempo für die Autohersteller geben diese selbst vor. Dazu kam in den letzten Jahren ein unerwarteter Mehrverbrauch, durch die starke Konjunktur, aber auch durch die Flüchtlingswelle – eineinhalb Millionen Menschen zusätzlich brauchen geheizten Wohnraum. So hat sich im Zielkorridor bis 2020 eine Lücke von 100 Mio. Tonnen Kohlendioxid aufgetan. Die Hälfte davon wäre zumindest theoretisch zu schließen, wenn Deutschland die 20 ältesten Kohlekraftwerke schließt. Das war die Forderung der Grünen in den Jamaika-Sondierungen. Aber es würde den Verlust von Jobs und einen raschen, schmerzhaften Strukturwandel bedeuten. Dagegen sträubten sich die Gewerkschaften und die Politiker der betroffenen Regionen: Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

So schiebt die Bundespolitik das Thema auf die lange Bank: Eine Kommission soll bis Jahresende einen Plan vorlegen, bis wann der Kohleausstieg vollziehbar ist. Für die FDP bedeutet das alles nur ein verspätetes „Rendez-vous mit der Realität“. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2018)

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