Eisenbahner gegen Macron: Ein Kampf um Frankreichs Zukunft

APA/AFP/CHRISTOPHE SIMON
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Die Gewerkschaften starten eine Streikwelle, die den Zugverkehr drei Monate lang immer wieder lahmlegen soll. Wenn der Präsident einknickt, ist sein Reformelan gebrochen.

Ein Monat lang haben Frankreichs Gewerkschaften laut mit dem Säbel gerasselt, jetzt machen sie Ernst: Mit heutigem Tag beginnt eine für drei Monate geplante Streikwelle bei der Staatsbahn SNCF, die den Bahnverkehr über 40 Prozent der Zeit lahmlegen soll. Die große Kraftprobe mit Emmanuel Macron hat begonnen - die erste wirklich gefährliche Hürde für den Reformkurs des Präsidenten.

Die aktuelle Situation: Mehr als drei Viertel der Lokführer beteiligen sich am Dienstag am Streik, zahlreiche Verbindungen wurden gestrichen. Im Regionalverkehr fährt nur jeder fünfte Zug, bei den TGV-Fernzügen fallen fast 90 Prozent aller Verbindungen aus. Medien sprechen von einem "schwarzen Dienstag" für Bahnkunden.

Bis Ende Juni wollen die Gewerkschaften immer im Wechsel zwei Tage streiken und drei Tage arbeiten. Das macht in Summe 36 Streiktage.

Kampf mit Symbolcharakter

Für Macron und seine Regierung geht es um sehr viel: Falls sie einknicken, können sie auch Reformplänen in anderen Bereichen Adieu sagen. Der Kampf hat also Symbolcharakter.

Dunkle Erinnerungen werden wach: 1995 legten die Eisenbahner das Land wochenlang lahm. Am Ende musste der damalige Premier Alain Juppé (unter Präsident Chirac) alle Vorhaben zur Sanierung des Wohlfarhtsstaates zurücknehmen - was dessen bürgerliche Regierung dauerhaft schwächte und eineinhalb Jahre später zu ihrer Abwahl führte. Auch als es 2007 darum ging, den anfänglichen Reformelan von Präsident Sarkozy zu stoppen, kämpften die Eisenbahner an vorderster Front.

Macrons Regierung will die mit 50 Mrd. Euro verschuldeten Staatsbahnen auf die Öffnung des Personenbahnverkehrs für den Wettbewerb vorbereiten. Diese Liberalisierung ist ein EU-Beschluss, der in den meisten anderen Mitgliedsländern (auch in Österreich) schon längst umgesetzt wurde. Frankreich ist also schon sehr spät dran.

Beamtenstatus bei SNCF-Mitarbeiter soll wegfallen

Kernpunkt der Reform: Neu eingestellte Mitarbeiter sollen nicht mehr in den Genuss des Beamtenstatus kommen. Bisher sind SNCF-Mitarbeiter auf Lebenszeit angestellt, praktisch unkündbar, können mit 50 Jahren in Pension gehen und genießen 50 Urlaubstage jährlich. Dass diese Privilegien für künftige Eisenbahner-Generationen fallen sollen, treibt die Gewerkschaften auf die Barrikaden.

Linke Medien wie "Liberation" kritisieren, mit ihrem forschen Auftreten habe die Regierung die Gewerkschaften, die beim neuen Arbeitsrecht noch getrennt agierten, erst so richtig zusammengeschweißt.

Dabei hatte die Regierung inhaltlich versucht, den Gegnern vorsorglich möglichst viel Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Änderung des Sonderstatuts greift in keine "wohlerworbenen Rechte" ein und gilt nur für Neueinstellungen. Immer wieder hat Premier Edouard Philippe beteuert, dass keine Privatisierung der Bahn geplant sei. Auch auf die in einem Expertengutachten nahegelegte Einstellung von unrentablen Regionalstrecken (ein Drittel des Streckennetzes wird für nur zwei Prozent der Passagiere aufrechterhalten) verzichtete die Regierung von Anfang an. Forsch trat sie nur formal auf: Die Reform soll wie schon bei der Novellierung des Arbeitsrechts rasch durch Dekrete in Kraft treten.

Wer setzt sich durch, Marcon oder die Eisenbahner? Entscheidend ist, wie die Franzosen auf die Streikwelle reagieren. Anfangs stand die öffentliche Meinung klar auf Seiten des Präsidenten: Sieben von zehn Befragten waren für die Abschaffung des Sonderstatus. Jetzt wünschen sich nur noch 51 Prozent, dass die Regierung die Reform durchzieht. 46 Prozent halten den Streik für gerechtfertigt. Damit ist alles offen.

Die Eisenbahner könnten den Zorn der Massen auf sich ziehen. Aber die Pendler, die nun fast jeden zweiten Tag im Stau stehen, werden eine rasche Lösung verlangen - und sie kann nur vom Präsidenten und seiner Regierung kommen.     (gau)

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