Die Zukunft startet im Innviertel

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Austria Eggelsberg Church in rural landscape PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY WWF01163(c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Der Schweizer Weltkonzern ABB investiert 100 Mio. in einen Forschungscampus bei der vor einem Jahr gekauften B&R. Das schafft 1000 Jobs – warum gerade auf dem Land?

Linz. Das sind Termine, wie Politiker sie lieben: Ein Weltkonzern investiert 100Mio. Euro in Österreich und schafft dabei 1000 Arbeitsplätze. Noch dazu lauter Hightechjobs für Hochqualifizierte, denn es geht um einen Forschungscampus, der an der voll automatisierten und voll vernetzten „Fabrik der Zukunft“ tüfteln soll. Und das nicht in der Großstadt, sondern im ländlichen Raum: in der kleinen Gemeinde Eggelsberg bei Braunau in Oberösterreich. Da lässt es sich auch Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht nehmen, der Verkündigung der frohen Botschaft in Linz beizuwohnen.

Was aber zieht den Schweizer Riesen ABB ins tiefste Innviertel? Vor einem Jahr hat der Elektrotechnikkonzern dort eine Perle der heimischen Wirtschaft aufgekauft: das auf Industrieautomatisierung spezialisierte Unternehmen Bernecker&Rainer (B & R). Der Deal sollte eine Lücke schließen, unter der ABB in diesem Bereich immer litt – „ein Geburtsfehler“, wie Konzernchef Ulrich Spiesshofer offen zugibt. Der Rückenwind aus Oberösterreich könnte den Schweizern ermöglichen, den Marktführer Siemens einzuholen. Mit der Entwicklung der Akquise ist Spiesshofer sichtlich hoch zufrieden: „Sie sehen mich immer noch lächeln.“ B & R habe bisher eine „fantastische Performance“ abgeliefert und die sehr ehrgeizigen Pläne noch übertroffen. Der Umsatz stieg im Vorjahr von 560 Mio. auf rund 750 Mio. Euro. Die angepeilte Umsatzmilliarde sei damit ebenfalls „nicht mehr weit weg“. Also will man nun auch bei den Investitionen noch mehr Gas geben.

„Junge Digitalfüchse“ und „alte Industriehasen“

Der Spatenstich für den Innovations- und Bildungscampus erfolgt im Sommer, in Betrieb gehen soll er 2020, zwei Jahre später werde der Mitarbeiterstand komplett sein. Das Ziel ist, „junge Digitalfüchse mit alten Industriehasen“ zusammenzubringen, in enger Kooperation mit der Kepler-Uni in Linz und den Fachhochschulen. Die Themen reichen von der klassischen Steuerungstechnik bis zu lernenden Maschinen und anderen Formen künstlicher Intelligenz. Freilich hat ein weltweit tätiger Technologiekonzern wie ABB viele Forschungszentren, aber Eggelsberg wird künftig zu den fünf größten gehören – zusammen mit den Standorten im Silicon Valley, Shanghai, Bangalore und dem Stammsitz in Zürich.

Ganz haben sich die Gründer von B & R noch nicht von ihrem Lebenswerk gelöst. Auch beim Campusprojekt, der größten Einzelinvestition in ihrer Firmengeschichte, sind Josef Rainer und Erwin Bernecker noch beratend dabei. 39 Jahre ist es her, dass die beiden Freunde im Keller einer Bank gestartet sind. In den beiden letzten Dekaden ist das Unternehmen der heute 66-Jährigen im Schnitt um elf Prozent pro Jahr gewachsen und hat damit den Gesamtmarkt weit hinter sich gelassen. Heute beschäftigt es über 3000 Mitarbeiter weltweit, davon ein Drittel in Forschung, Entwicklung und Anwendungstechnik. B & R beliefert in erster Linie Maschinenbauer mit dem „Hirn“ der von ihnen gebauten Anlagen: den Industriecomputern und der programmierbaren Steuerung. Dieser Markt hat ein Volumen von 20 Mrd. Dollar und ein durchschnittliches jährliches Wachstum von fünf Prozent.

ABB kann Rückenwind brauchen

Der Trend gehen hier in Richtung „Losgröße eins“: Die Steuerung soll ermöglichen, dass ein Endkunde ein einzelnes Stück bestellt und die Maschine es kostengünstig produziert, ohne dass man sie aufwendig umrüsten oder einstellen muss. Das könne bis hin zu individuellen Medikamentenverpackungen oder der „Cola-Flasche mit einem persönlichen Foto“ gehen, erklärt B-&-R-Chef Hans Wimmer im „Presse“-Gespräch. Auch im Vertrieb findet er neue Wege: Neben Maschinenbauern beliefert B & R seit einigen Jahren auch direkt Konzerne wie Nestlé und BMW. Dabei geht es darum, auf schon bestehende Maschinen ein „Monitoring“ draufzusetzen. Auf diese Weise lässt sich mehr darüber erfahren, was die Anlagen den ganzen Tag über so treiben. Bei Nestlé habe das den Ausstoß signifikant erhöht – ein „sensationelles Ergebnis“.

ABB kann diese Dynamik gut gebrauchen. Denn bei den Schweizern entwickelte sich das Geschäft mit der Industrieautomatisierung vor der Übernahme schleppend, Umsatz und Auftragseingänge gingen zurück.

Die beiden Unternehmen ergänzen sich aber auch gut: B & R ist in der Lebensmittelindustrie, bei Verpackungsherstellern und Autobauern stark, ABB bei Versorgern und Infrastrukturanbietern. B & R kann dank der neuen Mutter in Asien und Nordamerika aufholen, wo man bisher schwächer vertreten war. Die Kunden bekommen nun auch die Robotik, für die es bei ABB ein eigene Division gibt, aus einer Hand. Da die beiden Firmen früher kaum in direkter Konkurrenz standen, hatte auch die EU-Kommission im Vorjahr keine Bedenken gegen den Kauf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2018)

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