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Etwas ist faul in Amerika: Die Menschen oder die Zahlen?

(c) REUTERS (Evan Semon)
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Den Amerikanern reichen 1,4 Millionen Dollar, um sich wohlzufühlen. Gut zu wissen.

Reicher als reich. So enden die Gewinner der Euro-Millionen-Lotterie. Das wissen wir aus der Werbung. Aber was ist mit dem Rest von uns? Wie stehen die Lotto-Verlierer da? Wie fühlen sich die normalen Leute? Und wo ziehen sie die Grenze zwischen Armut und Reichtum im eigenen Kopf? Jedes Jahr sucht der US-Finanzdienstleister Charles Schwab die Antwort auf diese sehr subjektive Frage für seinen „Modern Wealth Index“. Das Ergebnis: Der durchschnittliche Amerikaner hätte gern ein Nettovermögen von 2,4 Millionen Dollar, um sich reich zu fühlen. Und 1,4 Millionen reichen, um sich wohlzufühlen. Im Vorjahr stand diese Zahl noch bei 1,2 Millionen. Soll niemand sagen, es gäbe keine Inflation! Freilich: Mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich erst dann wohl, wenn Zeit für die Familie bleibt. Und gerade die jungen Amerikaner sehen auch den Zugang zu Netflix und Amazon als etwas an, das ihnen subjektiv „Wohlstand“ gibt.

49 Prozent der Befragten sagt, dass Sparen und Investieren der „Schlüssel zum Wohlstand“ sind, 40 Prozent setzen auf „harte Arbeit“. Hier werden langsam die Probleme mit solchen Umfragen sichtbar. In welcher Welt leben die Amerikaner, dass nur 40 Prozent einen Sinn in „harter Arbeit“ sehen? Warum will weniger als die Hälfte der Amerikaner Sparen und Investieren? Und seit wann sind Sparen und Investieren dasselbe?

Die Antwort: Charles Schwab will natürlich, dass die Amis ihr Geld anlegen, um es „arbeiten“ zu lassen. Und seit die Zinsen immer niedriger sind, muss man immer höheres Risiko bei Investments fahren. Das ist in den USA nicht anders als in Europa. Nur, dass bei uns viele eisern am Sparbuch festhalten – auch wenn es dort noch lange keine Zinsen gibt. Ja, auch hierzulande sinkt die Sparquote – aber die Österreicher haben noch nicht aufgegeben. In den USA sparen 20 Prozent der Menschen keinen Cent mehr. Weil sie von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck leben. 65 Prozent der Amerikaner legen maximal zehn Prozent des Jahreseinkommens beiseite, wie aktuelle Zahlen einer anderen Umfrage zeigen.

Es scheint, als würden die Amerikaner trotz niedriger Arbeitslosigkeit, wachsenden Löhnen und hoher Zuversicht ihre eigenen Sparziele total verfehlen. Selbst jene 49 Prozent, die gern mehr sparen würden. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum die Wohlfühlsumme binnen eines Jahres um 200.000 Dollar gestiegen ist. Man hat immer weniger und wünscht sich immer mehr. Etwas ist faul in Amerika. Sind es die Menschen? Die Zahlen? Oder kann es sein, dass der Boom noch immer nicht bei den Leuten ankommt?

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2018)

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