Die wichtigsten Fakten zum neuen Arbeitszeit-Gesetz

Frühdienst, Pause, Spätschicht bis Mitternacht und dann nur acht Stunden frei: Das befürchtet die Gewerkschaft im Tourismus.
Frühdienst, Pause, Spätschicht bis Mitternacht und dann nur acht Stunden frei: Das befürchtet die Gewerkschaft im Tourismus. (c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Mit dem neuen Arbeitszeitgesetz brüskiert die Regierung Gewerkschaft und Arbeiterkammer. Sie kritisieren die angekündigte Freiwilligkeit, es gehe um verordnete Überstunden. Die Wirtschaft spricht von einer Win-win-Situation.

Wien. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ahnt offenbar, dass viele seiner Wähler mit dem neuen Arbeitszeitgesetz unglücklich sein könnten. Blumig preist er es auf seiner Facebook-Seite an: „Mehr Flexibilität für heimische Arbeitnehmer – weil uns Freiheitlichen mehr Zeit für die Familie und eine ausgewogene Work-Life-Balance ein Anliegen ist!“ Die Wirtschaft sieht eine Win-win-Situation für Betriebe und Beschäftigte: „Wir wollen niemanden zwingen, mehr zu arbeiten“, so Wirtschaftsbund-Generalsekretär René Tritscher.

Genau das befürchten Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Sie sehen einen „unglaublichen Eingriff in die Freizeit“ und „Lohnraub“. Der Gewerkschaftsbund erwägt Streiks. So viel zur Politik. Aber wie wird die Arbeitszeitflexibilisierung, die ab Jänner gelten soll, in der Praxis aussehen?

1 Was genau ändert sich mit dem neuen Arbeitszeitgesetz?

Vor allem soll die Höchstgrenze der Arbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche angehoben werden – derzeit ist das nur in Ausnahmefällen erlaubt. Bis zu viermal im Jahr sollen Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe möglich werden. Vorgesehen ist auch eine Erweiterung des Personenkreises, der vom Arbeitszeitgesetz überhaupt ausgenommen ist: Neben leitenden Angestellten soll das zum Beispiel auch „sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ betreffen.

2 Wird die Mehrarbeit freiwillig sein, wie es die Regierung verspricht?

Vorgesehen ist, dass Arbeitnehmer Überstunden „aus überwiegenden persönlichen Interessen“ ablehnen können, wenn so eine Tagesarbeitszeit von zehn Stunden oder eine Wochenarbeitszeit von 50 Stunden überschritten wird. Das läuft auf eine Interessenabwägung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in jedem Einzelfall hinaus. Fazit: Echte Freiwilligkeit ist das nicht, weil die Arbeitnehmer nicht allein entscheiden können.

3 Welche Branchen sind besonders betroffen?

Explizit erwähnt wird der Tourismus. Wer hier einen sogenannten geteilten Dienst absolviert (mindestens drei Stunden Ruhepause), für den kann der nächste Dienstantritt schon nach acht Stunden erfolgen. Bisher war das erst nach elf Stunden möglich. Die Hoteliervereinigung ist zufrieden: Das Gesetz orientiere sich an der Praxis, Arbeit werde besser eingeteilt, auch die Mitarbeiter wünschten das. Anders sieht das Berend Tusch von der Dienstleistungsgewerkschaft Vida: „Die Branche wird noch einmal unattraktiver.“ Dass es für die Mehrarbeit überwiegend Zeitausgleich geben wird, glaubt er nicht: „Dafür gibt es viel zu wenig Personal.“

4 Wie bewerten Experten die geplante Flexibilisierung?

Helmut Hofer vom IHS hat 2017 die ökonomischen Potenziale von Arbeitszeitflexibilisierung untersucht. Sein Fazit: Firmen können Beschäftigte flexibler und damit produktiver einsetzen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft steigert. Es wäre ihm aber lieber gewesen, wenn die Sozialpartner das Gesetz ausgearbeitet hätten: „Sie kennen sich in den Betrieben besser aus als die Regierung.“ So sieht das auch Helmut Mahringer vom Wifo: Der Erfolg des Gesetzes hänge davon ab, ob man in den Betrieben zu einer guten Einigung kommt, von der auch die Beschäftigten profitieren.

5 Wie steht Österreich international bei der Arbeitszeit da?

Mit dem neuen Arbeitszeitgesetz würde Österreich bei der erlaubten Tageshöchstarbeitszeit ins europäische Mittelfeld rücken. Großbritannien, Schweden, Irland und Dänemark stehen mit 13 Stunden an der Spitze, zeigt eine Auswertung der Agenda Austria. Studien zeigten, dass Flexibilisierung die Jobsicherheit erhöhe, sagt Ökonom Wolfgang Nagl von der Agenda Austria. Weil die Produktivität der Belegschaft mit der Flexibilität steigt und Firmen ihre Mitarbeiter nicht so schnell kündigen würden.

6 Was bedeutet das Gesetz für die Überstundenzuschläge?

Überstunden bleiben zuschlagspflichtig wie bisher. Bei der Frage, welche Stunden als Überstunden gelten, kann es aber durch die Neuregelung Verschiebungen geben. Auch die einzelnen Kollektivverträge spielen eine Rolle.

7 Was ändert sich für Arbeitnehmer mit Gleitzeit?

Der maximale Gleitzeitrahmen wird von zehn auf zwölf Stunden pro Tag erweitert. Hier geht es aber um echte Freiwilligkeit – Gleitzeit heißt, dass der Arbeitnehmer Beginn und Ende der Arbeitszeit (innerhalb bestimmter Grenzen) selbst bestimmen kann. Dafür erspart sich der Arbeitgeber im Normalfall die Zuschläge für Mehrarbeit.

8 Was sagt die Opposition zur geplanten Gesetzesänderung?

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch nennt das Gesetz „von der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer bestellt“. Die Opposition erzürnt, dass ein Initiativantrag eingebracht wurde, womit die öffentliche Begutachtung entfällt. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) missbrauche seine Position, um das Gesetz „durchzupeitschen“, so SPÖ-Klubchef Andreas Schieder. Neos-Arbeitsmarktsprecher Gerald Loacker begrüßt das Gesetz, aber dass die Regierung die Begutachtung umgehe, sei eine „Frechheit“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2018)

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