Europas Industrie bündelt die Kräfte

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Digital-Kommissar Andrus Ansip erarbeiten eine neue Industriestrategie.
Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Digital-Kommissar Andrus Ansip erarbeiten eine neue Industriestrategie.APA/HANS PUNZ
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Beim informellen EU-Rat in Wien diskutierten die Fachminister Strategien, wie Europa den Anschluss an die Hightech-Mächte USA und China schaffen kann. Die Zeit drängt.

Wien. Ein „Airbus“ für Künstliche Intelligenz (AI): Diese Idee – ein gesamteuropäisches Unternehmen, in dem die Kräfte in einer wichtigen Zukunftstechnologie wie einst in der modernen Luftfahrt gebündelt werden – hat jüngst der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier vorgebracht. Er weiß, wovon er spricht. Er braucht nur sein Smartphone zu nützen, um die Erkenntnis aus vielen Studien bestätigt zu sehen: Europa droht vor allem bei neuen Technologien den Anschluss an die Industriemächte USA und China zu verlieren.

Das wissen auch Europas Politiker, die gestern, Montag, einen neuen Anlauf starteten, Europa eine schlagkräftige und zukunftsfähige Industriepolitik zu verpassen. Unter österreichischem Ratsvorsitz berieten die Wirtschafts- und Industrieminister der 28 EU-Staaten bei einem informellen Rat „Wettbewerb“ erstmals Strategien. Im September soll es ein Positionspapier geben, wie die Gastgeberin, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) betonte.

Das Motto des Treffens hätte nicht besser gewählt sein können: „Rethinking European Industry“ („Europas Industrie neu denken“). Der Schwerpunkt liegt auf AI und Digitalisierung. Denn diese sind, wie Schramböck nicht müde wird zu betonen, der Schlüssel zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und damit Wohlstand in Europa.

Gerade in diesen Bereichen, die die Basis für autonomes Fahren, Internet der Dinge und Industrie 4.0 bilden, habe Europa aber enormen Aufholbedarf, wie der Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für den digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip, auf Basis einer McKinsey-Studie vorrechnete. Demnach investiert Europa derzeit lediglich drei bis vier Mrd. Euro jährlich in AI bzw. die dahinterliegende Forschung und Entwicklung (F&E), während es in Asien acht bis zwölf Mrd. sind. In den USA liegt der Vergleichswert sogar bei 15 bis 23 Mrd. Euro.

Also gelte es, die Ärmel aufzukrempeln. Industrie- und Binnenmarkt-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska sprach von einem Kraftakt aller Player: „Es heißt, die Kräfte zu bündeln, um erfolgreich den Wettbewerb mit China und den USA anzugehen.“

Altmaiers Idee macht daher Sinn: Der Flugzeugbauer Airbus gilt, ungeachtet diverser Probleme, als Vorzeigeprojekt für einen europäischen Industrie-Champion. Abgesehen davon, dass bei einem solchen Vorhaben nationale Eitelkeiten hintangestellt werden müssten – solche haben nicht selten auch Airbus gebremst – bedarf es enormer Mittel, mit denen F&E-Programme angestoßen werden müssen. Geld ist, wenn man den neuen mit 1200 Mrd. Euro deutlich höher angesetzten Budgetrahmen der EU betrachtet, prinzipiell da.

Aber ob es in die richtige Richtung fließt? Vertreter der Elektronikindustrie bezweifeln das. Für die gesamte Forschung, sozusagen der Inkubator neuer Technologien, sind 100 Mrd. Euro vorgesehen. Das ist zwar um 23 Mrd. Euro mehr als im laufenden Programm, aber auf die Schlüsseltechnologie Mikroelektronik – Basis von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz – entfallen nur fünf Mrd. Euro. Eine Verdoppelung der Mittel wird diskutiert, übrigens auch heute, Dienstag, beim informellen Treffen der EU-Forschungsminister.

Die Industrie fordert deshalb die Aufstockung der Forschungsmittel auf 160 Mrd. Euro. Was keineswegs ein frommer Wunsch ist, wenn man bedenkt, dass China im Rahmen der Strategie „Made in China 2025“ allein 150 Mrd. Euro in den Aufbau einer eigenen Halbleiterindustrie steckt. Ansip blies in dasselbe Horn: Die EU habe schon vorgeschlagen, für AI zusätzliche Investitionen loszutreten. Wieviel, sagte er nicht.

Bildungsoffensive notwendig

Die Gretchenfrage lautet daher: Wie kann durch die Digitalisierung Industrie wieder verstärkt in Europa angesiedelt und/oder hierher zurückgebracht werden? Schramböck hatte gute Beispiele aus der Heimat parat: allen voran den Halbleiterkonzern Infineon, der in Villach um 1,6 Mrd. Euro eine neue Fabrik baut. Oder die Großinvestition der Voestalpine, die in Kapfenberg ein vollautomatisches Edelstahlwerk baut.

Diese Investments brächten auch neue Arbeitsplätze. Denn es würden zwar Jobs verschwinden, aber auch neue entstehen, wie alle drei Politiker betonten. Das Um und Auf dabei sei eine Reform des Bildungssystems. Denn: „Das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte schadet der Industrie“, sagte Bieńkowska. (eid)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2018)

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