Ein oftmals unbequemer Held Italiens

Ex-Fiat-Chef Sergio Marchionne (1952-2018).
Ex-Fiat-Chef Sergio Marchionne (1952-2018).GEPA
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Am Mittwoch ist der langjährige Fiat-Chef Sergio Marchionne verstorben. Er wird nun von jenem Land geehrt, für das er oft nur Kritik übrig hatte.

Wien. Sogar das italienische Parlament hielt am Mittwoch für eine Schweigeminute inne. Und auch ansonsten zeigten sich die Würdenträger des offiziellen Italien tief berührt von dem plötzlichen Tod von Sergio Marchionne. Wie berichtet war der Italo-Kanadier erst am Wochenende von seinem Job an der Fiat-Spitze abgelöst worden, nachdem der Konzern bekannt gegeben hatte, dass Marchionne nach einer Schulter-Operation Ende Juni im Koma liegt. Was genau passiert ist, wird nicht kommuniziert. Laut Branchengerüchten soll es bei der komplexen Entfernung eines Tumors an der Schulter zu einer Embolie gekommen sein.

Italien habe mit Marchionne einen seiner brillantesten Manager verloren, so der Tenor der ersten Wortmeldungen aus der italienischen Politik. Und selbst die Metallergewerkschaft Fiom zollte ihm Respekt – wenn auch mit Verweis auf die „vielen harten Konflikte“, die man miteinander ausgefochten hatte. Denn auch wenn der als 14-Jähriger mit seiner Familie nach Toronto Ausgewanderte von den Italienern vor allem als jener Held gesehen wird, der Fiat vor der Pleite bewahrte, war sein Verhältnis zu seinem Geburtsland ambivalent.

„Fiat würde es ohne Italien besser gehen.“ Diese Aussage von Marchionne im Jahr 2010 markiert den Höhepunkt in der schwierigen Beziehung zwischen dem in Nordamerika sozialisierten Marchionne und Italien. Der Manager hatte damals gerade sein Husarenstück geliefert und den US-Autokonzern Chrysler übernommen. Innerhalb von sechs Jahren war aus dem kurz vor der Insolvenz stehenden italienischen Autohersteller ein globaler Spieler der Branche geworden.

Nun müssten auch die Werke in Italien im internationalen Wettbewerb innerhalb des Konzerns bestehen, so die Forderung Marchionnes. Und das führte unweigerlich zum Abbau von tausenden Arbeitsplätzen und ständigen Machtkämpfen mit der Gewerkschaft.

Aber es waren nicht nur die italienischen Arbeitnehmervertreter, mit denen Marchionne wenig Freude hatte. Auch die Manager entsprachen nicht seiner Vorstellung. Als er 2004 zu Fiat gekommen sei, habe es auf den Gängen unzählige sehr elegant gekleidete Herren gegeben, die aber allesamt keine Entscheidungen treffen wollten, erzählte er später einmal. „In Italien wird geredet, in den USA wird gehandelt.“ Seine erste Amtshandlung war daher, jeden dieser Manager genau zu fragen, wer er sei und was er mache – und in der Folge 90 davon zu kündigen.

Ein Pullover als Statement

Aber auch optisch wollte er sich von seinen Turiner Kollegen abgrenzen, die ihn in der Folge „Marsmensch“ tauften. Und so legte er entgegen italienischer Gepflogenheiten Sakko und Krawatte ab und trat seit 2005 fast nur noch im charakteristischen schwarzen Pullover mit kariertem Hemd darunter auf.

Der Erfolg gab ihm dabei Recht. 2003, im Jahr vor seinem Antritt, musste Fiat noch einen Verlust von mehr als sechs Mrd. Euro verkraften. Im Vorjahr wurde ein Rekordgewinn von drei Mrd. Euro erzielt. Seit der Fusion mit Chrysler hat die Aktie des Konzerns um mehr als 350 Prozent zugelegt – mehr als jedes andere Unternehmen der Autobranche.

Angesichts seines Alters von 66 Jahren wollte er dieses Erbe im April 2019 einem Nachfolger übergeben. Wer das sein sollte, hätte erst kurz davor festgelegt werden sollen, so Marchionne vor wenigen Monaten. „Zuerst machen wir einmal das Jahr 2018 fertig.“ Das muss nun sein Nachfolger, der bisherige Jeep-Chef Mike Manley, erledigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2018)

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