AMS-Chef: "Jobs verweigern kann vernünftig sein"

(c) Die Presse (michaela Bruckberger)
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AMS-Chef Herbert Buchinger spricht mit der „Presse“ über unprofessionelle Hoteliers, „patscherte“ Kanarienvogelbesitzer und den Missbrauch des Systems.

„Die Presse“: Eine Arbeiterkammer-Umfrage hat gezeigt, dass 40Prozent der Arbeitslosen nicht sofort wieder einen Job wollen. Wollen diese Menschen grundsätzlich nicht arbeiten, oder haben sie schon aufgegeben?

Herbert Buchinger: Es gibt zwei Gruppen: Die einen sind schon lange arbeitslos, haben resigniert und warten auf ein Wunder. Die anderen sind erst seit Kurzem arbeitslos. Wenn jemand lange gearbeitet hat und dann arbeitslos wird, will er einmal durchschnaufen und sich orientieren. Dieses Phänomen ist aus der Arbeitslosigkeitsforschung bekannt.


Wie lange kann das dauern?

Buchinger: Bis zu drei Monaten, dann wird es kritisch. Weil potenzielle Arbeitgeber natürlich fragen, was Bewerber in den drei Monaten gemacht haben.


Wenn man dem AMS-Berater sagt, dass man diese Zeit zum Orientieren braucht, wie reagiert er?

Buchinger: Er wird sich Ihre Vorgeschichte anschauen. Wenn er sieht, Sie waren seit 30 Jahren nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt, dann muss man Ihnen eher in einem Job-Coaching-Kurs beibringen, wie man sich einen Job sucht. Wenn Sie aber schon öfter arbeitslos waren und sich immer wieder engagiert etwas gesucht haben, wird der Berater Ihnen vertrauen. Zumindest dann, wenn sie immer nach drei Monaten, längstens aber sechs Monaten, wieder etwas gefunden haben. Natürlich gibt es auch solche, die immer 28 Wochen arbeiten und dann 30 Wochen Arbeitslosengeld beziehen – also das System ausnützen.

Ist das immer ein Ausnützen des Systems? Das könnte ja auch ein Saisonarbeiter sein...

Buchinger: Eine Saison, die exakt 28 Wochen dauert, und dann 30 Wochen Nichtsaison, genauso viel, wie man für einen neuen Anspruch braucht? Wenn wir dann noch sehen, dass es sich um den Familienangehörigen eines Selbstständigen handelt, dann liegt der Missbrauch auf der Hand.


Und was machen Sie dann?

Buchinger: Wir können den Betreffenden kontinuierlich mit Angeboten eindecken, und wenn er die alle ablehnt, sechs Wochen lang das Arbeitslosengeld streichen, im Wiederholungsfall acht Wochen.

Wie weist man Verweigerung nach?

Buchinger: Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beweislatte hoch gelegt, vor allem bei den Schulungen. Wenn jemand eine offene Stelle nicht annimmt, ist der Nachweis einfacher. Aber wer sich gut auskennt, führt das Vorstellungsgespräch schon so, dass er sicher nicht genommen wird.

Wie oft kommt das vor, dass jemand so geschickt seine Einstellung verhindert? Öfter als die Fälle, in denen man die Verweigerung oder Vereitelung nachweisen kann?

Buchinger: Nein, das sind weniger. Bei solchen, denen man eine Vereitelung nachweisen kann, ist ja oft auch vernünftiges Verhalten dabei. Es gibt Arbeitslose, die sagen: „Ja, ich weiß, der Job ist mir zumutbar, ich will ihn aber trotzdem nicht. Ich streite nicht mit euch und akzeptiere, dass ich sechs Wochen kein Arbeitslosengeld bekomme.“ Wenn ein plausibles Konzept dahintersteckt, etwa weil sich jemand selbstständig machen will, unterstützen wir das sogar. Es kann aber auch sein, dass jemand eine konkrete Stelle nicht will, weil der Betrieb ein schlechtes Image hat. Besonders häufig gibt es das im Gastgewerbe, wo die Angestellten jeden Familienkrach zwischen den Wirtsleuten mitbekommen.

Von den Tourismusunternehmern hört man immer, dass Personal fehlt, weil die Arbeitnehmer zu wenig mobil sind...

Buchinger: Das ist kein Problem der Mobilität, das ist das Image der Branche und das unprofessionelle Personalmanagement. Allein, dass die Arbeitszeiten nicht absehbar sind, ist nicht jedermanns Sache. Manche müssen um neun Uhr mit dem Frühstück anfangen, aber sie wissen nicht, wann sie aufhören können. Das Problem ist, dass es oft keine Profis sind. Es gibt im Fremdenverkehr eine kleingewerbliche und teilweise unprofessionelle Eigentümerstruktur.

Hoteliers berichten, dass sie Ostdeutsche finden, die die Tourismusjobs machen wollen, aber keine Wiener. Warum sind die Tourismusjobs für Wiener so unattraktiv?

Buchinger: Die Jobs sind nicht unattraktiv. Das sind oft nur Kleinigkeiten. Wenn sich die Hoteliers in einer Region zusammenschließen und gezielt um Personal werben, wie das etwa die großen Ötztaler Hoteliers tun, sind sie damit auch erfolgreich. Grundsätzlich ist es attraktiv, mit Gästen zu arbeiten, Schmäh zu führen. Aber die Arbeitszeiten müssen vorhersehbar sein.

Fehlt nicht auch oft die Flexibilität? Ein Unternehmer hat sich kürzlich beschwert, dass Arbeitslose einen Job ablehnen und das damit erklären, dass sie sich um ihren Hund kümmern müssen.

Buchinger: Solche Dinge kommen immer wieder vor. Das geht bis zum Kanarienvogel, dass jemand sagt: „Was soll ich denn mit dem Hansi machen?“ Dann sage ich: „Reden Sie mit dem Hotelier, vielleicht dürfen Sie den Hansi mitnehmen.“

Aber sind das nicht vorgeschobene Gründe?

Buchinger: Nein, das sind einfach patscherte Leute, die ihr Leben nicht im Griff haben. Welcher intelligente Mensch schiebt einen Grund vor, der auf keine Akzeptanz stößt? Deswegen glaube ich nicht, dass das Ausreden sind.


Was können Sie Langzeitarbeitslosen eigentlich viel anderes bieten als Schulungen?

Buchinger: Wir können schon Arbeitsplätze bieten, aber sicher nicht die Topjobs. Hilfstätigkeiten im Gastgewerbe oder Handel, Reinigungsdienste, solche Dinge.

Es gibt aber massive Vorbehalte von Unternehmern, Langzeitarbeitslose einzustellen...

Buchinger: Sie haben oft Sorgen und Angst, dass diese Leute oft krank und unzuverlässig sind. Aber wir haben ja Förderinstrumente. Wir tragen das Risiko gemeinsam: Wie schießen bis zu zwei Drittel der Lohnkosten zu oder ersetzen in einem Probemonat 100Prozent der Lohnkosten. Unternehmen sind immer wieder bereit, Leuten am Rande der Gesellschaft eine Chance zu geben, wenn sie das Risiko nicht allein tragen müssen und das Gefühl haben, unterstützt zu werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2010)

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