Deutsche Koalition einig über Rentenreform und Arbeitslosenversicherung

Die Regierung von Angela Merkel bringt ein Sozialpaket auf die Reihe
Die Regierung von Angela Merkel bringt ein Sozialpaket auf die ReiheAPA/dpa/Bernd von Jutrczenka
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Die Spitzen von CDU, CSU und SPD haben auf die Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung geeinigt. Damit ist der Weg frei für das Rentenpaket von Arbeitsminister Hubertus Heil.

Die große Koalition in Deutschland hat sich in der Nacht zu Mittwoch in einer Reihe von Streitpunkten geeinigt und unter anderem eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte beschlossen. Damit machten die Spitzen von CDU, CSU und SPD gleichzeitig den Weg für das Rentenpaket von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) frei. Das Kabinett soll diesem Paket nun bereits am heutigen Mittwoch zustimmen. Heil sprach am Abend von einem "großen Durchbruch". "Die Koalition ist handlungsfähig." Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sprach von einer sehr guten Atmosphäre, in der man etwa auch das Paket aus Mietpreisbremse und Wohnungsbau auf den Weg gebracht habe. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hob die beschlossene Entlastung der Bürger hervor.

Die Spitzen von CDU, CSU und SPD hatten sich am späten Dienstagabend im Kanzleramt getroffen, um nach der Sommerpause das weitere Vorgehen in der Koalition zu vereinbaren. Bisher verzögerte sich die Kabinettsbefassung mit dem eigentlich unstrittigen Rentenpaket, weil die Union zugleich eine Absenkung des Arbeitslosenbeitrages gefordert hatte. Nun soll dabei per Gesetz eine Senkung des Beitrages um 0,4 Prozentpunkte festgeschrieben werden. 0,1 Prozent sollen befristet bis 2022 per Verordnung abgesenkt werden, sagte Heil. Zurzeit liegt der Beitragssatz bei 3,0 Prozent des Bruttolohns. Das Kabinett soll der Reform am 17. September zustimmen.

Der Koalitionsvertrag sieht nur eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte vor. Arbeitsminister Heil hatte im Gegenzug für eine stärkere Senkung gefordert, dass dann etwa auch kurzzeitig Beschäftigte leichter Arbeitslosengeld beziehen können sollen und die Weiterbildung für Beschäftigte in Firmen im digitalen Strukturwandel ausgebaut werden sollte. Dies sei am Abend ebenso vereinbart worden wie die Bildung einer "Rücklage für schwierige Zeiten" bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), sagte Heil. So sollen auch diejenigen Arbeitslosengeld beziehen können, die innerhalb von 30 Monaten zwölf Monate gearbeitet und Beiträge bezahlt hatten. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) setzte sich mit der Forderung durch, dass die 70-Tage-Regelung für eine sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung, die bereits seit 2015 gilt, unbefristet verlängert wird.

Künftig wird zudem ein Automatismus zu einer weiteren möglichen Beitragssenkung eingebaut. So soll es laut dem gemeinsam beschlossenen Papier eine allgemeine Rücklage im Haushalt der BA von 0,65 Prozent des BIP geben. Das entspricht derzeit rund 22,5 Milliarden Euro. Wenn die Rücklage diesen Wert dauerhaft um einen Betrag übersteigt, der 0,1 Prozentpunkte des Beitrages entspricht, soll der Arbeitsminister erneut aktiv werden.

Mütterrente wird ausgeweitet

Im Renten-Gesetzentwurf von Arbeitsminister Heil finden sich etwa die Ausweitung der Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder. Am Abend wurde beschlossen, dass die höhere Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Rente nicht erst ab dem dritten Kind, sondern für alle Frauen gelten sollen, die vor 1992 Mutter wurden. Sie bekommen künftig einen halben Rentenpunkt gutgeschrieben anstelle eines ganzen Rentenpunkts für Mütter mit drei Kindern. Zudem wird bis 2025 ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent sichergestellt, bezogen auf einen Durchschnittslohn. Der Beitragssatz soll in dem Zeitraum nicht über 20 Prozent steigen. Geringverdiener sollen bei den Sozialabgaben ohne Einbußen beim Rentenanspruch entlastet werden. Auch die Erwerbsminderungsrente werde verbessert, sagte Heil. So werden künftig krankheitsbedingte Frührentner bei der Berechnung der Rente so gestellt, als ob sie bis zum regulären Renteneintrittsalter gearbeitet hätten. Die Neuregelungen sollen zum 1. Januar 2019 in Kraft treten. Heil hatte den Entwurf Mitte Juli vorgestellt.

Die Union hatte auch deshalb auf eine Senkung von mindestens 0,5 Prozentpunkten bei derArbeitslosenversicherung gepocht, weil die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen müssen. Laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) muss der Beitragssatz zur Pflegeversicherung zum Jahreswechsel um 0,5 Prozentpunkte angehoben werden - also genau den Anteil, um den die Arbeitslosenversicherung jetzt billiger werden soll.

SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sprach von einem Durchbruch in wesentlichen sozialpolitischen Fragen. Es sei bei der Rente für viele Millionen Menschen in Deutschland mehr Sicherheit geschaffen worden. Beim bezahlbaren Wohnraum und der Möglichkeit für Familien, neu zu bauen sei man sich ebenfalls einig geworden. Hierzu müssten am Mittwoch nur noch technische Fragen geklärt werden. Ziel sei es, dass der Gesetzentwurf am 5. September ins Kabinett komme. Auch das Gesetz zur Verbesserung der Qualität in Kitas solle noch im September dort beraten werden.

Das schwarz-rote Sozialpaket

RENTENPAKET: Erstmals will der Bund eine Garantie für eine bestimmte Höhe des Rentenniveaus und des Beitragssatzes geben - und dafür notfalls auch mit Geld aus dem Bundeshaushalt einstehen. Diese "doppelte Haltelinie" gilt bis zum Jahr 2025. Eine "Niveausicherungsklausel" stellt sicher, dass die Rentenerhöhungen bis dahin in jedem Jahr ausreichen, um ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent - bezogen auf einen Durchschnittslohn - zu erreichen. Für den Beitragssatz soll im selben Zeitraum eine Obergrenze von 20 Prozent gelten.

Beschlossen wurde auch die Ausweitung der Mütterrente: Allen Erziehenden von vor 1992 geborenen Kindern soll jeweils ein halber Rentenpunkt angerechnet werden. Ursprünglich war im Gesetzentwurf vorgesehen, dass nur Mütter mit mindestens drei vor 1992 geborenen Kindern einen ganzen zusätzlichen Rentenpunkt erhalten.

Krankheitsbedingte Frührentner werden bei der Berechnung ihrer Rente so gestellt, als ob sie bis zum regulären Renteneintrittsalter gearbeitet hätten. Rund drei Millionen Geringverdiener profitieren zudem von einer Entlastung bei den Sozialabgaben.

ARBEITSLOSENVERSICHERUNG:

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte gesenkt. Zurzeit liegt der Beitragssatz bei 3,0 Prozent des Bruttolohns. Eine Senkung um 0,4 Punkte wird per Gesetz festgeschrieben. Der Entwurf dazu soll am 19. September vom Kabinett beschlossen werden. Eine Absenkung um weitere 0,1 Punkte soll bis Ende 2022 befristet und durch eine Verordnung umgesetzt werden.

Künftig wird zudem ein Automatismus zu einer weiteren möglichen Beitragssenkung eingebaut. So soll es laut dem gemeinsam beschlossenen Papier eine allgemeine Rücklage im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) von 0,65 Prozent des BIP geben. Das entspricht derzeit rund 22,5 Milliarden Euro. Wenn die Rücklage diesen Wert dauerhaft um einen Betrag übersteigt, der mehr als 0,1 Prozentpunkten des Beitrages entspricht, soll der Arbeitsminister per Verordnung erneut aktiv werden.

WEITERBILDUNG:

Das Bundesarbeitsministerium wird ein Gesetz vorlegen, um Qualifizierung und Weiterbildung auf Kosten der BA auszubauen. Eine berufliche Weiterbildung soll denjenigen Arbeitnehmern zugute kommen, deren berufliche Tätigkeiten durch Technologien ersetzt werden können oder die in sonstiger Weise vom Strukturwandel bedroht sind.

ARBEITSLOSENGELD:

Künftig sollen auch diejenigen Arbeitslosengeld I beziehen können, die innerhalb von 30 Monaten zwölf Monate gearbeitet und Beiträge bezahlt haben. Bislang besteht nur Anspruch auf Arbeitslosengeld I, wenn man innerhalb von zwei Jahren mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

SAISONARBEIT:

Die 70-Tage-Regelung für eine sozialversicherungsfreie kurzfristige Beschäftigung, die bereits seit 2015 gilt, soll unbefristet verlängert werden.

MIETE/BAUEN/WOHNEN:

Bis zum Wohnungsbaugipfel am 21. September will die Bundesregierung im Kabinett das Mieterschutzgesetz und den Gesetzentwurf zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus beschließen, Grundsätze zur Weiterentwicklung des Mietspiegels entwickeln und das Baukindergeld als Förderprogramm der Förderbank KfW starten.

(Reuters)

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