Der späte Segen der Jobmigranten

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Die Öffnung für Osteuropäer hat die Arbeitslosigkeit stark steigen lassen, zeigt eine Wifo-Studie. Aber seit 2015 korrigiert sich der Effekt von selbst – bei deutlich mehr Beschäftigung.

Wien. Nein, die heimischen Politiker haben nicht schöngefärbt. Das will Stefan Schiman ihnen nicht unterstellen. Auch der Wifo-Forscher und seine Kollegen konnten im Jahr 2011 nicht ahnen, dass die Öffnung für Jobmigranten aus Osteuropa den heimischen Arbeitsmarkt so stark durchbeuteln würde. Es gab keinen echten Vergleich: Die anderen alten EU-Staaten, die den Zuzug schon bei der Erweiterung 2004 oder wenig später ermöglichten, liegen weit vom Osten entfernt. Und Deutschland, das sich wie Österreich für den letztmöglichen Termin entschied, hat mit der Ex-DDR eine Art Pufferzone, die wegen der relativ niedrigen Löhne für die Polen und Tschechen von nebenan nicht ganz so attraktiv ist. Das reiche, nahe Österreich aber traf der „externe Schock“ deutlich stärker. Wie stark, zeigt Schiman nun in einer Studie auf – aber auch, dass der Trend ab 2015 klar auf einen positiven Gesamteffekt hinausläuft.

Von 2011 bis 2015 nahm die Arbeitslosigkeit in Österreich deutlich zu. Schiman hat nun errechnet: Ungefähr jeder Zweite, der damals als Inländer oder früher Zugewanderter arbeitslos wurde, verlor seinen Job wegen des Zustroms aus Osteuropa. Denn anfangs stieg die Beschäftigung, also das Angebot an Arbeitskräften, noch stark, ohne dass die Unternehmen mehr offene Stellen anboten, um es zu aufzusaugen. Es kam zu einem „Gedränge“ auf dem Arbeitsmarkt, wie Schiman sagt: Die früher Dagewesenen brauchten länger, um zu einem neuen Job zu kommen.

Nicht nur gute Konjunktur

Umgekehrt die Unternehmen: Sie konnten aus einem größeren Pool auswählen und fanden schneller passende Mitarbeiter, was die Rekrutierungskosten senkte. Zudem dämpfte das Überangebot die Lohnentwicklung. Beides machte es für Firmen attraktiver, Mitarbeiter einzustellen – was die Wende brachte: Seit 2015 steigt die Anzahl der offenen Stellen und damit der neuen Jobs stark, und zugleich geht die Arbeitslosigkeit zurück.

Natürlich hilft dabei auch die europaweit gute Konjunktur. Aber 30 bis 40 Prozent der zurückgewonnenen Arbeitsplätze sind nach Schimans Analyse unmittelbarer Effekt der ersten Phase, die es zu durchtauchen galt.

Wie kann man sich das konkret vorstellen? Etwa am Bau: Zuerst machen sich niedrig qualifizierte heimische und neu zugezogene Arbeiter gegenseitig den Job auf der Baustelle streitig. Durch die gedämpfte Lohnentwicklung gewinnt die Baufirma an Wettbewerbsfähigkeit, kann expandieren – und stellt dann auch mehr technische Zeichner ein. Oder im Tourismus: Billige Saisonkräfte aus Osteuropa sichern einem Hotel oder einem Urlaubsort das Überleben, was mittelfristig auch heimischen Köchen oder Tourismusmanagern neue Chancen eröffnet.

Die Daten der Studie reichen bis Ende 2017. Die Grafik zeigt die nach einem britischen Ökonomen benannte „Beveridge-Kurve“, bei der es um den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und offenen Stellen geht. In dem langen Zeitraum von 1993 bis 2011 drängen sich die Datenpunkte auf sehr engem Raum. Seitdem beschreibt die Kurve eine Kreisbewegung gegen den Uhrzeigersinn. Schiman ist zuversichtlich, dass sich der Kreis „fast“ ganz schließen wird, die Arbeitslosenquote zu ihrem alten Niveau zurücktendiert – allerdings auf einem weit höheren Beschäftigungsniveau, das auch ein höheres Wachstumspotenzial eröffnet. Dazu passt, dass die Wirtschaft in Österreich nun stärker wächst als in vielen anderen EU-Staaten.

Späte Öffnung kein Vorteil

Dass es beim „fast“ bleibt, hat auch mit der Flüchtlingswelle von 2016 zu tun. Im Vorjahr, das die Studie umfasst, waren sie auf dem Arbeitsmarkt noch kaum zu spüren. Auch auch künftig dürfte der Effekt hier geringer ausfallen als bei der zweiten, kleinen Ostöffnung für Rumänen und Bulgaren von 2014.

Das Fazit ist also positiv. Womit sich die Frage stellt: Hat es denn einen Sinn gehabt, mit der Öffnung so lange wie möglich zuzuwarten? Und hat es aktuell noch bei den Kroaten Sinn, dem jüngsten EU-Zugang? „Es gibt keine triftigen Gründe, die Arbeitsmarktöffnung hinauszuschieben“, resümiert Schiman. Denn so verzögert die Politik zwar die Probleme der ersten Phase. Aber sie kann auch die Früchte erst später ernten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2018)

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