Rom beugt sich dem Druck der Finanzmärkte

Pierre Moscovici.
Pierre Moscovici.(c) APA/AFP/JOHN THYS (JOHN THYS)
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Der starke Anstieg der Risikoaufschläge zwingt die Regierung zum Teilrückzug: Das Defizit soll 2020 und 2021 geringer ausfallen als geplant. Aber die Skepsis bleibt groß, vor allem wegen der überzogenen Wachstumserwartungen.

Wien/Rom. Pierre Moscovici nimmt sich kein Blatt mehr vor den Mund. Der oft so konsensbetonte EU-Wirtschaftskommissar ging bei einer Rede am Dienstagabend auf Konfrontation: „Wie bereits die Ungarn haben sich auch die Italiener für eine europa- und ausländerfeindliche Regierung entschieden“, die sich auch bei der Haushaltspolitik von „europäischen Verpflichtungen zu befreien sucht“. Von harschen Worten aus Brüssel lässt man sich in Rom nicht beeindrucken. Dennoch hatte die Koalition aus linken und rechten Populisten zu diesem Zeitpunkt schon einen halben Rückzieher im Defizitstreit gemacht. Aber sie weicht dabei vor einem ganz anderen „Gegner“ zurück: den Gläubigern ihrer Schuldtitel.

Der Plan für das Budgetdefizit im kommenden Jahr bleibt zwar unverändert bei 2,4 Prozent. Aber die Neuverschuldung soll nicht mehr drei Jahre hintereinander so hoch ausfallen, sondern schrittweise zurückgehen: auf 2,1 Prozent 2020 und auf 1,8 Prozent 2021. Bis dahin soll dann die Schuldenquote von 132 auf 127 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken.

So lautet das Ergebnis einer ganzen Serie hektisch einberufener Krisentreffen. Seit der Präsentation des nicht EU-konformen Budgetplans vor einer Woche waren die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen in die Höhe geschossen. Am Dienstag überstieg die Zinsdifferenz zwischen deutschen und italienischen Zehn-Jahres-Bonds die magische Schwelle von drei Prozentpunkten; der Zinssatz selbst erreichte mit 3,44 Prozent den höchsten Stand seit 2014. Wohin die Reise geht, zeigen andere Spreads: Italien entfernt sich rasch von den sanierten früheren Krisenländern Spanien und Portugal und nähert sich bedenklich den Aufschlägen, die der Dauerproblemfall Griechenland zu zahlen hat. Das verteuert auch die meist variabel verzinsten Kredite der privaten Haushalte. Ende Oktober aktualisieren die Ratingagenturen Standard & Poor's und Moody's ihre Einschätzungen.

Schlechteres Rating droht

Schon eine Verschlechterung um eine Stufe dürfte einen neuen Abverkauf auslösen. Bei zwei Stufen weniger landen Italien-Bonds in der Schmuddelecke der spekulativen Papiere, die Versicherungen und Pensionsfonds gar nicht mehr kaufen dürfen. Das könnte dann eine Kettenreaktion auslösen, die im Staatsbankrott mündet.

Ist dieses Szenario nun abgewendet? Die Skepsis bleibt groß. Denn die niedrigeren Defizite und Schuldenquoten wären zum Teil der Effekt eines Wachstumsschubs, den die kräftige Neuverschuldung im ersten Jahr auslösen soll. „Das ist eine Strategie, die noch nie in irgendeinem Land funktioniert hat“, sagt der Mailänder Ökonom Francesco Daveri – und bringt damit die Meinung der Investoren auf den Punkt: Die Zinsen erholten sich am Mittwoch nur leicht, die Aktienkurse gingen weiter zurück.

Zwar verspricht Rom nun auch vage Ausgabenkürzungen, will aber zugleich 10.000 zusätzliche Polizisten einstellen. Strukturreformen fehlen völlig; die Pensionsreform wird sogar rückabgewickelt. Wobei man von der kühnen Hoffnung ausgeht, ein Frühpensionist würde den Platz für zwei arbeitslose Jugendliche freimachen.

Italiens Konjunkturdynamik schwächt sich gerade ab. Rom legt seinem Budgetplan für 2019 ein Wachstum von 1,6 Prozent zugrunde. Aber EU-Kommission, Unternehmerverband und Forschungsinstitute rechnen nur mit rund einem Prozent. Das hieße: höhere Defizite, höhere Schulden – 135 Prozent bis 2021. Wenn nichts Schlimmeres passiert. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2018)

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