Budgetdefizit: Auf dem Weg zu neuen Schuldenregeln?

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Der Euro-Stabilitätspakt sei zahnlos und schwer umzusetzen, kritisieren Experten. Nun wird in Brüssel eine Überarbeitung der Budgetregeln diskutiert. Die Schuldenziele könnten weicher werden, die Regeln einfacher.

Wien. Es ist nur ein Diskussionspapier – aber möglicherweise erlaubt es einen Blick darauf, wohin die Reise geht: Die EU-Kommission will demnach die komplizierten Budgetregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinfachen. Regierungen sollen weichere Vorschriften für das Zurückfahren ihrer Schulden eingeräumt werden, die schwächelnde Volkswirtschaften nicht in Bedrängnis bringen. Das berichtet die „Financial Times“, die sich auf ein Brüssel-internes Brainstorming-Dokument beruft.

In diesem Dokument wird eine „substanzielle Vereinfachung“ der Regeln gefordert. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, besser bekannt als Euro-Stabilitätspakt, sieht für EU–Länder eine Obergrenze der Staatsschulden von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Außerdem darf das jährliche Budgetdefizit nicht höher als drei Prozent liegen. 2011 wurde der Stabilitätspakt reformiert und mit rascheren Strafen versehen, wenn Staaten gegen die Schuldenregeln verstoßen. Trotzdem gerät der Stabilitätspakt immer wieder unter Beschuss: Die Regeln seien unmöglich zu vollstrecken und räumen Regierungen, die gegen den Pakt verstoßen, zu viel Spielraum ein. Vorstöße für eine neuerliche Überarbeitung gab es immer wieder. Dass das Regelwerk gerade jetzt wieder diskutiert wird, ist nachvollziehbar: Das Wirtschaftswachstum in der EU lässt nach, der einstigen Konjunkturlokomotive Deutschland droht heuer sogar eine Rezession.

Einer der Hauptreformpunkte, der laut den internen Unterlagen erwogen wird, ist ein Umdenken in Bezug auf die Schuldenziele. Damit soll eine „vernünftige und nachhaltige Schuldenreduzierung“ für die verletzlichsten Volkswirtschaften ermöglicht werden. Allein, was damit im Detail gemeint ist, wird nicht erläutert – schließlich handelt es sich eben lediglich um ein internes Diskussionspapier. Die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen wird ihr Amt im November antreten. Sollte der Stabilitätspakt umgebaut werden, wird dieses politisch heikle Thema in ihr Aufgabengebiet fallen. Vorstöße für Reformen gab es immer wieder: So forderte etwa 2014 der damalige deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), dass Kosten, die durch Reformpolitik anfallen, nicht auf die Defizite angerechnet werden sollen. Ein schwerer Affront für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf die Einhaltung der Regeln pochte.

Brüssel wegen Italien in der Kritik

Immer wieder verstoßen EU-Länder gegen die Obergrenzen. Und obwohl die EU-Kommission seit der Reform 2011 schneller Geldstrafen verhängen darf, musste bis jetzt noch nie ein Land für einen Verstoß zahlen.

Zuletzt stand die Behörde in der Causa Italien in der Kritik: Im Budgetstreit entging Rom mehrmals einem Defizitverfahren, obwohl die Schulden Italiens weit über der erlaubten Grenze lagen. Nachdem sich Brüssel zunächst für ein Verfahren ausgesprochen hatte, ließ man am Ende Milde walten. Unter der Vorgabe, dass Italien die versprochenen Sparschritte einhält.

Die künftige Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kürzlich noch mehr Zugeständnisse an den Budgetsünder Italien in Aussicht gestellt: Die Regeln beim Stabilitäts- und Wachstumspakt müssten eingehalten werden. „Es gibt aber auch viel Flexibilität in dem Regelwerk, die man besser ausnutzen kann, um Wachstum über Investitionen zu ermöglichen“, sagte sie im Juli zur „Süddeutschen Zeitung.“

Zahlreiche Verstöße, keine Sanktionen

Experten bemängeln immer wieder, dass der Euro-Stabilitätspakt zahnlos sei. Das Münchner ifo-Institut hat vor einigen Jahren die Zahl der Verstöße gegen das Regelwerk untersucht: Demnach haben die EU-Staaten zwischen 1999 und 2015 in 165 Fällen die zulässige Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes überschritten. Erlaubt war das nur in 51 Fällen, weil die Länder in die Rezession gerieten. Österreich sündigte in dem Zeitraum zwei Mal unerlaubt, einmal erlaubt. Am öftesten verstieß Frankreich gegen den Pakt.

AUF EINEN BLICK

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt dient dazu, die nationalen Finanzpolitiken der EU-Mitgliedsländer zu koordinieren und zu überwachen. Die Regeln erlauben eine maximale Staatsverschuldung in Höhe von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), sowie eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des BIP. 2011 wurde der Pakt reformiert. Es wurde ein Abbaupfad für die Schuldenquote vorgeschrieben und ein automatisiertes Sanktionsverfahren eingeführt. Bis jetzt musste noch kein Land eine Geldstrafe zahlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2019)

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