Mazal: "Golden Handshakes - zu wenig Geld für Junge"

(c) FABRY Clemens
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Der Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal wirft im Gesprächt mit der "Presse" Sozialpartnern jahrelange Versäumnisse am Arbeitsmarkt vor. Pensionsanträge sollten generell erst ab 63 oder 65 gestellt werden dürfen.

Die Presse: Die Sozialpartner beraten derzeit über längeres Arbeiten Älterer. Besteht die Gefahr, dass Jugendliche weniger Arbeitsplätze vorfinden?

Wolfgang Mazal: Wir gehen in wenigen Jahren wie heute in manchen Sektoren auf einen eklatanten Mangel an Arbeitskräften zu. Dass junge Menschen nicht zu Arbeit kommen, wenn Ältere länger arbeiten, sehe ich nicht. Es ist vielmehr eine Frage der Verteilung der Arbeit auf die Generationen.

Was wäre die richtige Weichenstellung?

Auf der einen Seite ist das lebenslange Verbleiben in einem Beruf für viele Menschen gesundheitlich so belastend, dass sie früher aus dem Erwerb ausscheiden müssen. Das sollte durch Requalifizierung und Umorientierung in der Lebensmitte geändert werden. Dadurch würden Arbeitsplätze für junge Menschen frei. Auf der anderen Seite müssen wir uns, wie es früher Tradition war, der Facharbeiterausbildung stellen. Es ist in den vergangenen zehn, 15 Jahren in der Wirtschaft leider ein Verhalten eingerissen, als würden Facharbeiter vom Himmel fallen.

Wenn Ältere länger bleiben, heißt es von Wirtschaftsseite häufig, diese seien zu teuer.

Durch jahrelange verfehlte Gehaltspolitik, Löhne aufgrund von Zeitvorrückungen zu erhöhen, schafft man die Situation, dass Ältere in unverhältnismäßiger Weise mehr verdienen als Jüngere. Ältere Arbeitskräfte sehen sich auch unter Leistungsdruck gestellt.

Es wird seit Jahren über flachere Gehaltskurven geredet.

Wir haben tatsächlich jahrelange Versäumnisse. In manchen Branchen wurden Veränderungen begonnen, die Gehaltskurve wurde etwas verflacht. Aber die Sozialpartner haben sich in vielen Branchen zu lange zurückgelehnt, was zur Folge hat, dass Ältere jetzt zu teuer sind. Dass der Staat das durch Prämien und Anreize ausgleichen soll, sehe ich nicht ein.

Also Biennien und Ähnliches streichen?

Eine Zeitvorrückung ist vielleicht in den ersten Jahren rechtfertigbar, auf Dauer nicht.

Ab wann, ab 40?

Es dreht sich nicht um Lebensjahre, sondern um die Jahre, in denen man in eine Berufstätigkeit hineinwächst. Etwa fünf bis sechs Jahre wird der Mensch noch besser in einem Beruf, haben mir Arbeitswissenschaftler gesagt. Substanzielle Gehaltserhöhungen würden danach nur mehr gebühren, wenn man eine neue Funktion übernimmt. Die jährliche Erhöhungen nach Lohnverhandlungen bleiben selbstverständlich erhalten.

Jetzt ist es so, dass Junge oft in Prekariatsverhältnissen ihr Dasein fristen müssen.

Weil es diese Versäumnisse gibt, haben junge Menschen eine im Vergleich zu früheren Generation blamabel niedrige Entlohnung.

Wie lässt sich das korrigieren?

Durch Umverteilen der Wertschöpfung innerhalb der Branchen zugunsten der jüngeren Arbeitskräfte. Man sollte nicht übersehen, dass die Situation des Prekariats in einigen Bereichen schlicht gesetzwidrig ist.

Was prangern Sie konkret an?

Scheinselbstständigkeit durch freie Dienstverträge, durch die in Wahrheit persönliche Abhängigkeit besteht und damit etwa Kollektivvertragslöhne und Entgeltfortzahlung vorenthalten werden.

Es ist üblich, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Golden Handshakes einigen. Soll diese Sitte oder Unsitte geändert werden?

Man kann mit Gesetzen nicht alles bestimmen. Hier ist es die Verantwortung der Bürger, den rechtlichen Rahmen in einer Weise zu nutzen, dass das Grundvertrauen in die Rechtsordnung nicht bricht.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer brechen ja nicht das Recht, sie handeln etwas zum beiderseitigen Vorteil zulasten der Pensionsversicherung aus.

Mit Golden Handshakes wird das Recht nicht gebrochen, es werden aber Voraussetzungen geschaffen, die dazu führen, dass Recht gebrochen werden muss, weil zu wenig Geld da ist, um Jungen Arbeitsplätze mit anständigen Vergütungen zu geben.

Die Altersteilzeit ist 2011 mit einem Einfrieren des Mindestantrittsalters verlängert worden. Ist das vernünftig?

Im Zweifel betreiben wir zugunsten der Älteren Besitzstandswahrung, statt zu schauen, dass Jüngere in anständige Arbeitsverhältnisse kommen. Man sollte den Zeitpunkt für die Frühpension hinausschieben und gleitend mit dem angestrebten Pensionsalter das Antrittsalter bei der Altersteilzeit erhöhen.

Was bringt ein höheres gesetzliches Pensionsalter?

Das wäre ein Signal von beschränkter Wirksamkeit in den nächsten Jahren. Sollten wir nicht den Pensionsantrag grundsätzlich erst ab 63 oder 65 stellen dürfen? Wer Probleme mit der Gesundheit hat, ist ein Fall für die Rehabilitation oder für Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt.

Da wäre auch eine Mentalitätsänderung nötig.

Richtig. Bei uns heißt es halt vorzeitige Pensionierung, aber in Wahrheit ist es ein Problem mit der Gehaltsstruktur, ein Problem des Leistungsdrucks und der Mentalität.

Sollen strengere Auflagen gemacht werden, damit Arbeitslose bestimmte Jobs annehmen?

Die gesetzlichen Zumutbarkeitsbestimmungen sind sehr scharf. In der Anwendung im Alltag des AMS ist das jedoch oft schwer umzusetzen. Auch hier geht es nur durch gesamtgesellschaftliches Verhalten. Durch das Rufen nach Prämien und zusätzlichen Zuckerln fürs Arbeiten wird signalisiert, dass Beschäftigung etwas ist, das man nicht von sich aus anstrebt. Das Rufen nach noch mehr Prämien halte ich für fatal.

Hängt das damit zusammen, dass von der Sozialdemokratie seit den 1970er-Jahren das Arbeitsleid in den Vordergrund gestellt wird?

Es ist kein ideologisches Thema. Beide großen europäischen Lager, das christlich-soziale und das sozialdemokratische, halten bis hinein in das Liedgut den Wert der Arbeit sehr hoch. Aber im Versuch, Wählerstimmen zu ergattern, wurden die negativen Seiten des Arbeitsprozesses sehr stark unterstrichen, um sich als politische Partei dann als Erlöser von Arbeitsleid zu präsentieren.

„Die Arbeit hoch“ ist nur ein Lied für den 1.Mai?

Es ist leider in vielen Bereichen so, dass wir in Sonntagsreden anderes propagieren, als wir einlösen. Das trifft auf alle politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen zu.

Zur Person

Wolfgang Mazal ist Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien, Leiter des Instituts für Familienforschung sowie wissenschaftlicher Leiter der Gesellschaft für Zukunftssicherung und Altersvorsorge– Denkwerkstatt St. Lambrecht. Diese diskutiert heuer von 4. bis 6.Mai das Thema „Reiche Gesellschaft mit Zukunft“. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2011)

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