Spenden: Geschäft mit der Menschlichkeit

Spenden. Wer für Greenpeace, Amnesty und Co. spendet, muss damit rechnen, dass zwei Jahresbeiträge an die Werber gehen. Das sei die sparsamste Variante, sagen die Vereine.

WIEN. Auf der Mariahilfer Straße führt an einem sonnigen Nachmittag kein Weg an den Werbern vorbei. "Das sympathische Gesicht mit den blauen Augen!" ruft die ebenso sympathische 19-jährige Laura einem Passanten zu. "Hast du einen Moment Zeit für die Menschenrechte?" Für eine Antwort auf diese Frage bleibt jedenfalls keine Zeit. Schon hat das Werbegespräch begonnen. Es geht heute um die Beschneidung von Frauen in der Dritten Welt. Und es geht vor allem um Geld. Nicht nur um jenes Geld, das Amnesty International einnehmen soll, sondern auch um jenes, das die Werbefirma daran verdient.

Ein Rechenbeispiel: Im Schnitt beläuft sich der jährliche Mitgliedsbeitrag der meisten Organisationen auf 60 Euro. Doch bis zu 120 Euro fließen an die Firma, die den neuen Spender geworben hat. Das ist kein Verlustgeschäft für Greenpeace & Co. Schließlich bleiben die Mitglieder im Schnitt sieben Jahre treu und lassen sich ihren Beitrag vom Konto abbuchen.

Zwei Jahresbeiträge gehen somit in die Werbung. "Das kommt hin", bestätigt Günther Gruber von der Grazer Werbefirma Dialog Direkt. "Mehr sollte es nicht sein", meint Robert Hatwanger von der Wiener Agentur Talk2Move. Oft rechne sich die Werbung nach einem Jahr.

Für die Arbeit eines Werbers zahlt eine karitative Organisation an Dialog Direct einen Fixbetrag von 40 bis 45 Euro pro Stunde. In derselben Zeit sollen jährliche Spendeneinnahmen von mindestens 20 bis 25 Euro lukriert werden, verspricht die Agentur. Über die Jahre rechnet sich das.

Bei Greenpeace, das die Agentur Talk2Move engagiert hat, machen die Werbekosten somit in Summe 28 Prozent der Spendengelder aus, sagt Barbara Schindler von Greenpeace Österreich. Das sei keineswegs viel. "Wir zahlen ja damit auch eine Informationskampagne." Der direkte Kontakt auf der Straße sei besser und günstiger als etwa Erlagscheine zu versenden.

Hatwanger rechnet vor: "Wenn Sie hundert Erlagscheine ausschicken, wird einer eingezahlt. Ein Brief kostet einen Euro." Zudem könne man sich auf die spontane Spendenfreudigkeit der Adressaten nicht verlassen. Die Organisationen hätten somit keine andere Möglichkeit, als eine Werbefirma zu engagieren, sind sich fast alle einig. Denn diese Beiträge sichern das Überleben der meisten Organisationen - von Pro Juventute und Vier Pfoten bis Amnesty International und Rotes Kreuz. Würden sie eigene Leute zum Sammeln schicken, wäre das nicht billiger.

Und die Straßen-Werber sind seriöser geworden. Noch vor fünf Jahren konnte ein geschickter "Keiler" es auf bis zu 5000 Euro im Monat bringen, berichten Insider. Längst sei die Zeit der goldenen Nase pass©. Die Provisionen sanken. Immer mehr Werber treffen auf immer weniger Spender.

"Ich mache es nicht wegen dem Geld", sagt Laura, "sondern weil ich mich von Herzen für Amnesty einsetzen möchte". Eine goldene Nase würde man der 19-Jährigen nicht ansehen. Sie trägt einen bunten Rock und ein blaues, zerknittertes Gilet. Keine Schminke verdeckt ihr natürliches Lächeln.

Würde sie von Montag bis Samstag für neun Stunden auf der Straße werben, käme sie auf etwa 2000 Euro im Monat. Davon sind 1000 Euro fix, der Rest Provision. Doch der Job ist hart. "Die Leute sind manchmal gemein und beschimpfen uns. Oder sie sagen: ,Die Neger sollen sich selber helfen'". Viele gehen einfach weiter. Laura arbeitet für Talk2Move. Die Agentur weiß, wie schwer sie ihr Geld verdient. Sie führt darüber Buch: 870 Passanten werden täglich angesprochen, 160 bleiben stehen. 25 lassen sich auf ein Gespräch ein und sieben machen tatsächlich mit. 100.000 Mitglieder werden so in Österreich jährlich geworben, schätzt Hatwanger.

Wenn Laura den Menschen von Amnesty erzählt und dabei begeistert gestikuliert, hat sie ihre Mappe mit den Mitgliedsformularen noch nicht in der Hand. Wobei ihr auch das Wort "Mitgliedschaft" nicht über die Lippen kommt. Beides würde das potenzielle Mitglied nur abschrecken. Es gilt, Vertrauen zu gewinnen. Viele sind skeptisch.

Laura weiß es ganz genau. Sie wurde gut für ihren Job ausgebildet. "800 Euro investieren wir in jeden Spendensammler bis er auf der Straße steht", sagt Dialog Direct-Chef Gruber.

Laura hat wieder einen aus der Menge auserkoren: "Einen Moment lang Zeit für die Menschenrechte?"

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