Die Regierung in Paris hat die Öffentlichkeit seit längerem darauf vorbereitet. Die Reaktionen dürften weniger schlimm als erwartet sein.
[Paris] Die französische Regierung wollte die Hiobsbotschaft zunächst gar nicht kommentieren. Doch am Abend bestätigte Finanzminister François Baroin den Verlust des prestigeträchtigen Triple A. Dies sei zwar keine Katastrophe, bedeute aber, dass Frankreich seine Reformbemühungen ausweiten müsse. Zuvor versicherte bereits Haushaltsministerin Valérie Pécresse: „Frankreich ist ein sicherer Wert. Unser Kurs ist klar: Schuldenabbau zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums.“
Ein gewisser Fatalismus hat sich in Paris in den letzten Tagen breitgemacht. Es ist die Geschichte einer angekündigten finanzpolitischen Katastrophe. Und wie immer, wenn ein Unglück absehbar ist, gilt es, die Folgen so gering wie möglich zu halten. Genau das war die Haltung der Pariser Regierung seit Mitte Dezember. Zu diesem Zeitpunkt ist Frankreich zusammen mit anderen EU-Staaten erneut ins Visier der Ratingagenturen geraten. In mehreren Interviews und Erklärungen begannen ab diesem Datum Regierungschef François Fillon und seine Minister, vor allem aber auch Staatspräsident Nicolas Sarkozy, die Mitbürger auf die Eventualität eines Verlusts der AAA-Bonität einzustimmen.
Triple A als „Schatz der Nation“
Das erforderte eine gewisse rhetorische Elastizität. Denn noch im Sommer hatte Sarkozy diese Schuldnerbestnote als „Schatz der Nation“ betrachtet. Finanzminister Baroin machte aus der Verteidigung seine oberste Pflicht: „Wir werden da sein, um das Triple A zu bewahren. Das ist eine notwendige Voraussetzung zum Schutz unseres Sozialsystems. Wir werden alles tun, um nicht herabgestuft zu werden.“ Das hat nun doch nicht gereicht. Auch die Entschiedenheit von Premier Fillon nicht, der gesagt hatte: „Dieses Triple A ist ein Trumpf, den wir um jeden Preis verteidigen müssen. [. . .] Das ist die Frucht der Arbeit der Franzosen.“ Weil dieser Kampf um die Bonität so zu einer Entscheidungsschlacht erklärt wurde, begann Sarkozy etwas schwach in den Knien zu werden: „Wenn wir das Triple A verlieren, bin ich (politisch) erledigt“, warnte er noch Anfang Dezember im kleinen Kreis.
Danach aber galt es, die immer unvermeidlicher werdende Herabstufung zu banalisieren. „Die Botschaften der Agenturen sind Meinungen wie andere auch. Es sind bloße Indikatoren. Ein Frosch am Morgen macht noch nicht das Wetter“, scherzte Baroin. Sarkozy selbst wollte ebenfalls den Verlust der Bestnote entdramatisieren: „Eine Schwierigkeit mehr, aber nicht eine unüberwindbare.“
Zwei in Serie verabschiedete Sparpläne reichten also nicht, um die Zensoren von Standard & Poor's gnädiger zu stimmen. Auch die Ankündigung einer frohen Nachricht für den französischen Staatshaushalt durch Baroin am Donnerstag beeindruckte sie nicht. Laut Baroin werde das Defizit der Staatsausgaben für 2011 nicht nur im Rahmen der versprochenen 5,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben, sondern dank zusätzlichen Einsparungen auf 5,5 Prozent reduziert.
Zu optimistische Erwartungen für 2012
Laut dem Direktor für Wirtschaftsforschung bei der Bank Natixis, Philippe Waechter, verdeutlicht die Herabstufung Frankreichs durch S&P das Misstrauen bezüglich der allzu optimistischen Wachstumserwartungen für 2012. Frankreich befindet sich in der Rezession, und damit dürfte die Einhaltung des Plans zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien bis 2014 immer fraglicher werden. Die Folgen werden sich laut Waechter in Grenzen halten: „Wenn alles gut geht, bekommen wir die Bestnote in zwei Jahren wieder zurück. Das ist mehr ein Frage der (verletzten) Ehre, wird aber auf den Alltag wenig Auswirkung haben. Die Zinssätze, die von Frankreich verlangt werden, bleiben tief“, prophezeit er.
Falls er aber falsch liegt, könnte Frankreich laut dem Magazin „Nouvel Observateur“ in einen Teufelskreis geraten. Zur Finanzierung seiner 1600 Milliarden Euro Schulden muss Frankreich in diesem Jahr 180 Milliarden Euro neu aufnehmen. Falls der Schuldendienst durch höhere Zinslasten steigt, fällt der Sparplan bis 2014 wie ein Kartenhaus zusammen. Und dann riskiert Frankreich einen weiteren Vertrauensverlust bei den Banken, die Paris bisher als exzellenten Schuldner schätzten.
Da in genau 100 Tagen in Frankreich Präsidentschaftswahlen stattfinden, wird die S&P-Entscheidung auch sofort politisch ausgeschlachtet. Für die Opposition ist Präsident Sarkozy an allem schuld, er soll daher auch die Zeche bezahlen. Der sozialistische Senator François Rebsamen sieht im Urteil von S&P ein Symbol für den „finanziellen, sozialen und moralischen Abstieg Frankreichs“ am Ende der Präsidentschaft von Sarkozy.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2012)