Finanzkrise: "Sturm, den die USA noch nie zuvor erlebt haben"

(c) AP (Richard Drew)
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Der größte Bankencrash seit 1984 schockiert die USA: Die Bankenaufsicht schließt die Hypothekenbank IndyMac. Im Falle einer Pleite der ebenfalls angeschlagenen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac droht ein völliger Kollaps des Immobilienmarkts.

Der größte Bankencrash seit 24 Jahren erschüttert die USA. Die US-Bankenaufsicht übernimmt den in Nöte geratenen Hypothekenfinanzierer IndyMac. Auch Spekulationen um eine drohende Pleite der zwei größten amerikanischen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac haben bei der US-Regierung die Alarmglocken schrillen lassen: Finanzminister Henry Paulson und die Aufsichtsbehörden intensivierten am Freitag ihre Krisengespräche auf höchster Ebene. Im Mittelpunkt stehe eine Unterstützung der beiden Institute in ihrer "gegenwärtigen Form", sagte Paulson.

Größte Bankenpleite seit 1984

Der staatliche Einlagensicherungsfonds der US-Banken (FDIC) übernahm am Freitag den größten unabhängigen börsennotierten US-Hypothekenfinanzierer IndyMac, der in Kapitalnöte geraten ist, und sucht nun nach einem Käufer. IndyMac ist das zweitgrößte Finanzinstitut in der US-Geschichte, das seine Geschäfte einstellen muss und die fünfte Bankenpleite in den USA im heurigen Jahr. Der FDIC rechnet mit Kosten zwischen vier und acht Milliarden Dollar. Der Zusammenbruch von IndyMac ist laut "spiegel.de" der größte Banken-Crash in den USA seit dem Kollaps der Continental Illinois National Bank im Jahr 1984.

Die Bausparkassen-Aufsicht OTS machte den New Yorker Senator Charles Schumer für die IndyMac-Pleite mitverantwortlich. Seine Äußerungen von Ende Juni, in denen er angezweifelt habe, dass das Unternehmen die Häuserkrise überleben könne, hätten zu einem Ansturm der Sparer auf die Konten und damit zu einem rasanten Kapitalabfluss geführt. Allein in den folgenden elf Geschäftstagen hätten Sparer mehr als 1,3 Milliarden Dollar bei IndyMac abgezogen. Der demokratische Politiker wies die Anschuldigungen zurück und warf der Aufsichtsbehörde im Gegenzug vor, ihre Arbeit vernachlässigt und IndyMac nicht an seiner verlustträchtigen Kreditvergabe-Praxis gehindert zu haben.

"Befinden uns inmitten eines Tsunamis"

"Wir befinden uns inmitten eines Tsunamis im Finanzsektor. Dies ist ein Sturm, den die USA zuvor noch nie erlebt haben", sagte Peter Kenny, Direktor von Knight Equity Markets.

In den Medien wurde über eine staatliche Übernahme zur Rettung der Immobilien-Finanzierer Fannie Mae und Freddie Macspekuliert. Ihre Aktien befanden sich am Freitag an der Börse praktisch im freien Fall.

Wer sind Fannie Mae und Freddie Mac?

Fannie Mae ist die in den USA übliche Bezeichnung für die "Federal National Mortgage Association", aus deren Initialen FNMA der Name gebildet wurde. Fannie Mae ist die weltgrößte Hypothekenbank. Freddie Mac ("Federal Home Loan Mortgage Corporation") ist die zweitgrößte börsennotierte US-amerikanische Hypothekenbank.

"Heute liegt unser Hauptaugenmerk darauf, Fannie Mae und Freddie Mac in ihrer derzeitigen Form zu unterstützen, weil sie eine wichtige Aufgabe erfüllen", erklärte US-Finanzminister Henry Paulson am Freitag. Mit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung solle das Vertrauen in die Immobilienfinanzierer gefördert werden, erklärte er mit Blick auf das derzeit im Kongress debattierte Immobiliengesetz. Die "New York Times" hatte am Freitag berichtet, die beiden Finanzinstitute sollten nach den Plänen der Regierung unter staatlichen Schutz gestellt werden, sollte sich ihre Lage weiter verschlechtern. Derzeit seien Fannie Mae und Freddie Mac aber nicht in einer Krise, die ein Einschreiten der Regierung erfordere.

Ausfall der Finanzierer kaum verkraftbar

US-Branchenführer Fannie Mae und Nummer zwei Freddie Mac stehen hinter mehr als der Hälfte aller Hypotheken in den USA. Schon jetzt belasten ihre Probleme die ohnehin gebeutelten Finanzmärkte massiv. Ein Ausfall wäre laut Experten kaum verkraftbar. Die dramatische Entwicklung weckt böse Erinnerungen an das Schicksal der Investmentbank Bear Stearns, die im Frühjahr wegen drohender Insolvenz unter dem Druck der Regierung und der Behörden ihrem Notverkauf zustimmen musste.

Fannie Mae und Freddie Mac hätten eine "wichtige öffentliche Aufgabe", betonte Paulson. Mit den Äußerungen wollte er die Märkte beruhigen. Die Aktien erholten sich zwar etwas von ihren schlimmsten Verlusten zu Handelsbeginn, Händler zeigten sich aber enttäuscht von den ihrer Ansicht wenig konkreten Aussagen des Ministers.

Sollte die öffentliche Hand einspringen, würden die Aktien praktisch wertlos und der US-Steuerzahler müsste für weitere Ausfälle bei Hypothekenkrediten geradestehen, berichtete die "New York Times". Eine völlige Verstaatlichung sei letztlich verworfen worden, da sich durch die enormen Außenstände beider Banken die Staatsschulden zu stark erhöhen würden. Schon jetzt besitzen die vom Staat gegründeten Institute allerdings gewisse Garantien, die sie bei Kapitalengpässen unter staatliche Kontrolle stellen würden.

Abwärtsspirale dreht sich immer schneller

Das Problem: Machen Insolvenzgerüchte erst einmal die Runde, dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller. Für die Institute wird es immer teurer, sich Kredite und frisches Kapital zu verschaffen. Der Ex-Präsident der regionalen Notenbank von St. Louis, William Poole, hatte die Finanzierer als praktisch zahlungsunfähig bezeichnet.

In den vergangenen neun Monaten schrieben die Institute zusammen Verluste von rund 11 Mrd. Dollar (6,95 Mrd. Euro). Fannie Mae besorgte sich zudem eine milliardenschwere Kapitalspritze, Freddie Mac war damit bisher erfolglos. Seit Beginn der US-Immobilienkrise brachen die Aktienkurse der beiden Gesellschaften um rund 90 Prozent ein. Zum Wochenschluss fielen die bereits am Vortag massiv abgestürzten Papiere weiter deutlich: Fannie verlor bis Mittag (Ortszeit) rund 30 Prozent auf 9,22 Dollar, Freddie 28 Prozent auf 5,74 Dollar.

Freddie und Fannie haben Schuldverschreibungen im Volumen von insgesamt fünf Bill. Dollar in ihren Büchern, was mehr als einem Drittel des US-Bruttoinlandsprodukts entspricht. Im Falle einer Pleite würde ein völliger Kollaps des US-Immobilienmarktes drohen, weil die beiden Firmen den Markt für Hypotheken nach dem Rückzug vieler Banken derzeit fast allein am Laufen halten. Investoren gehen deshalb davon aus, dass die US-Regierung einen Zusammenbruch der beiden Institute mit allen Mitteln verhindern will.

"Das war nur eine politische Show"

Der New Yorker Dow Jones-Index verlor nach den Äußerungen Paulsons über zwei Prozent und rutschte zum ersten Mal seit zwei Jahren unter die Marke von 11.000 Punkten. "Das ist keine gute Nachricht für den Dollar und für die Aktienmärkte. Ich verstehe nicht, was noch passieren muss, bis die Regierung Freddie Mac und Fannie Mae rettet", sagte Analyst Firas Askari von BMO Capital Markets.

Auch Michael Woolfolk von der Bank of New York Mellon zeigte sich von der Ankündigung enttäuscht. "Das war nicht das, was die Märkte erwartet haben, sondern lediglich eine politische Show. Er (Paulson) hat lediglich sein Cheer-Leader-Outfit im Schrank gelassen."

(Ag.)

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