Gemeinwohl: Sittenwächter für die Wirtschaft

Gemeinwohl Sittenwaechter fuer Wirtschaft
Gemeinwohl Sittenwaechter fuer Wirtschaft(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Wirtschaft ohne das Recht des Stärkeren, ohne Konkurrenz, ohne Hierarchien. Geht das? Die Unternehmen, die eine Gemeinwohlbilanz erstellen, lassen sich ein Stück weit auf diese Gedanken ein.

Eine Bank, die überlegt, die Zinsen abzuschaffen. Ein Wursthersteller, der seine CO2-Bilanz verbessert. Ein IT-Unternehmen, in dem niemand Überstunden macht. Ein großer Outdoor-Ausrüster, dem ein Bankkredit nicht ethisch genug ist. Gibt es das?

Es gibt sie, die Unternehmen, die glauben, dass es in der Wirtschaft noch andere Ziele geben sollte als ein möglichst fettes Plus in der Bilanz. Sie erstellen eine alternative Bilanz, die messen soll, wie viel Gutes ein Unternehmen eigentlich tut bzw. ob sich der Schaden, den es anrichtet, in vertretbaren Grenzen hält. Die Ideen, die dieser Art von Bilanz zugrunde liegen, sind, gelinde gesagt, ungewöhnlich.

Verfechter der Gemeinwohlökonomie träumen von einer Welt, in der Unternehmen nicht miteinander konkurrieren, sondern einander unterstützen. Von Betrieben, in denen es keine Hierarchien mehr gibt, sondern alle Mitarbeiter gleichberechtigt sind und Gehälter nicht zu weit auseinanderliegen. Von einem Wirtschaftssystem, in dem kein Wachstumszwang herrscht, sondern jedes Unternehmen seine ideale Größe erreichen kann, ohne Angst, von Stärkeren geschluckt zu werden.

Kommunismus-Revival? Alles schon da gewesen und gescheitert, sagen Kritiker, die die Bewegung in gefährlicher Nähe zum Kommunismus sehen. Außerdem sei das Wesen des Menschen nun einmal nicht auf Friede, Freude, Eierkuchen ausgerichtet. Jeder sei sich selbst der Nächste. Und diese Form von Egoismus würde schlussendlich auch das Wohl aller vorantreiben.

Stimmt nicht, widerspricht Christian Felber, Buchautor, Attac-Aktivist und Gründer der Gemeinwohlökonomie-Bewegung. Der Mensch sei ein soziales Wesen, er kooperiere lieber, als dass er konkurriere. Nur sei dem Menschen dieser Hang zum Altruismus durch den Siegeszug des kapitalistischen Wirtschaftssystems in den letzten 200 Jahren systematisch ausgetrieben worden. Deshalb müsse den Menschen der Gemeinsinn jetzt in mühsamer Kleinarbeit wieder anerzogen werden. Über Sinn und Unsinn von Felbers Theorien wurde schon viel debattiert und noch mehr polemisiert. Doch wie sieht es in der Praxis aus?

Die Gemeinwohlökonomie-Bewegung steht mittlerweile auf einer recht breiten Basis. Etwa 4000 Leute engagieren sich dafür. Rund 1300 Firmen unterstützen die GWÖ, ein Drittel davon hat eine Gemeinwohlbilanz erstellt.

Der deutsche Outdoor-Ausrüster Vaude zum Beispiel: „Wir wollten unsere Nachhaltigkeitsbemühungen messbar machen“, sagt Firmenchef Jan Lorch. Er sei auf der Suche nach einem nachhaltigen Managementsystem, das „lebbar und wirtschaftlich verträglich“ ist. Die Gemeinwohlökonomie sieht er als einen Baustein auf dem Weg dorthin. Konkret ins Rollen gebracht habe der Prozess der Bilanzerstellung bei Vaude eine Diskussion über faire Gehälter: „Wir sind gerade dabei, mit einem Berater gemeinsam ein neues Gehaltsschema auszuarbeiten.“ Ein zweites großes Thema sei Barrierefreiheit für Behinderte. Darüber hinaus seien weitere Dinge angedacht: „Vorstellen können wir uns ziemlich viel, die Frage ist der Zeithorizont.“ Die finanzielle Unabhängigkeit von Banken sei ein längerfristiges Ziel. „Jetzt müssen wir noch nach den aktuellen Regeln der Finanzwirtschaft spielen. In zehn bis 15 Jahren sieht das vielleicht anders aus.“
Den Spieß umdrehen. Das ultimative Ziel der Gemeinwohlökonomie ist rechtliche Verbindlichkeit, und zwar auf Basis eines Anreizmodells: Unternehmen, die das Gemeinwohl fördern, sollen belohnt werden. Mit Steuererleichterungen etwa. Oder leichterem Zugang zu Förderungen. Während die „natürliche Auslese“ im Wettbewerb jetzt gegen die „Guten“ arbeite und die Gemeinwohlsünder (zum Beispiel die, die in Billiglohnländern produzieren lassen) belohne, will die GWÖ den Spieß umdrehen. Aber wie wird beurteilt, was gut ist und was nicht?

Geprüft werden in der Gemeinwohlbilanz die Leistungen der Unternehmen in vier Bereichen: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit sowie demokratische Mitbestimmung und Transparenz. Alle Berührungsgruppen des Unternehmens (Stakeholders) werden unter die Lupe genommen: Geldgeber, Lieferanten, Mitarbeiter, Kunden, das gesellschaftliche Umfeld. Wer Dinge – laut den Regeln der GWÖ – richtig macht, bekommt Pluspunkte. Wer gegen fundamentale Regeln verstößt, Minuspunkte.

Einen großen Fleisch- und Wursthersteller wie das steirische Unternehmen Schirnhofer würde man erst einmal eher zu den „Bösen“ zählen. „Mit Fleisch als Produkt hat man ja nicht die besten Voraussetzungen“, sagt Eigentümer Karl-Heinz Schirnhofer. „Fleisch ist ein sehr ressourcenintensives Produkt. Es hat eine gewisse CO2-Bilanz. Und Fleischkonsum ist mit einer Ethikdebatte verbunden“, so der Unternehmen weiter. Dennoch: Schirnhofer gehörte zu den Ersten, die eine auditierte Gemeinwohlbilanz erstellt haben. Mit 442 von 1000 Punkten.

In einigen Bereichen habe man sehr gut abgeschnitten: Beim ethischen Beschaffungswesen zum Beispiel sei die Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten ein großes Plus. Damit halte man, jedenfalls was den Transport betreffe, den CO2-Ausstoß in Schach. Einige Forderungen der GWÖ liegen dem Wursthersteller aber schwer im Magen. Die Frage der ethischen Finanzierung zum Beispiel. „Es ist schwer, von Banken Ethikberichte zu bekommen. In Deutschland gibt es reine Genossenschaftsbanken. In Österreich nicht“, sagt Schirnhofer.


Eine Bank ohne Zinsen? Eine dieser deutschen Genossenschaftsbanken, die sich der GWÖ-Bewegung angeschlossen hat, ist die Sparda-Bank. Die größte Hemmschwelle, die die Gemeinwohlökonomie für Banken bereithält, ist die Forderung, jede Form von Kapitaleinkommen, also auch Zinsen, abzuschaffen. „Eine Abschaffung der Zinsen ist für uns in den nächsten zwölf Monaten kein Thema“, sagt Christine Miedl, Sprecherin der Sparda-Bank. Jedoch: „Das ist eine Frage, der man sich sicherlich stellen muss. Denn das wird bei den Kunden zum Thema.“ Vorstellbar sei, dass es statt einer Dividende auf einen Geschäftsanteil eine Tauschbörse auf Dienstleistungen geben könne – „eine Art Netzwerk von Talenten mit Community-Charakter“.

An der Gemeinwohlbilanz schätze man bei der Sparda-Bank ihren verbindlichen Charakter. „An vielen Nachhaltigkeitsinstrumenten stört uns, dass da jeder in seinen Bericht hineinschreiben kann, was er will“, sagt Miedl. „Wenn man dann hinter die Fassaden schaut, sieht die Realität oft ganz anders aus.“ 386 von 1000 Punkten habe man bei der letzten Bilanz erreicht. Das sei ausbaufähig. Aber für eine Bank nicht schlecht.

„Wer bei der Gemeinwohlbilanz 1000 Punkte erreicht, ist ein Kommunist“, findet Sonnentor-Chef Johannes Gutmann, dessen Tee- und Gewürzunternehmen sich mit 595 Punkten begnügen musste: „Dabei habe ich gedacht, nachhaltiger als wir, das geht gar nicht.“ Einer der Schwachpunkte in seinem Unternehmen sei die Mitbestimmung: „Wir sind gerade dabei, die Mitarbeiter ins Boot zu holen. Und ich bin überrascht, wie viel Input wir bekommen.“ Derzeit werde gemeinsam an einem internen Krisenmanagement gearbeitet. So ganz vom Chef-Sein verabschieden will sich Gutmann aber nicht, eine Genossenschaft komme für ihn nicht infrage: „Irgendwo hört sich der Spaß auf. Es muss glasklare Verantwortlichkeiten und Zielorientierung geben. Sonst funktioniert das nicht.“


Keine Überstunden mehr. Das Salzburger IT-Unternehmen B.it Services gehört mit 25 Mitarbeitern zu den Kleinunternehmen, die die Gemeinwohlökonomie unterstützen. „Es hat mich erstaunt, wie viele Dinge man in Bewegung setzt, wenn man an einem Rädchen zu drehen beginnt“, sagt Geschäftsführer Bernhard Winter. Völlig umgewälzt habe man zum Beispiel die Gehaltsspreizung: „Wir haben die kleinen Gehälter kräftig angeschoben. Die Spreizung liegt jetzt nur mehr bei 1:2.“

Und: „Wir arbeiten jetzt weniger als früher. Die Mitarbeiter machen keine Überstunden mehr.“ Dafür habe man auch Abstriche gemacht. „Wir haben uns von einer Abteilung getrennt. Wir machen jetzt keine Softwareentwicklung mehr. „Das waren immer Risikoprojekte. Und in der Gruppe werden Entscheidungen eher risikoarm.“

Aus mit dem Wachstumszwang? Dafür mehr Lebensqualität? Für viele Ökonomen eine Horrorvision, die zu enormen Produktivitätsverlust führen würde. Doch die Praxis zeigt: Manche Unternehmen sind bereit, der Bewegung ein Stück weit zu folgen, definieren aber für sich selbst, welche Ratschläge sie für praktikabel halten und welche nicht. Und solange sie diese Freiheit haben, ist der Nutzen der GWÖ wohl auch größer als der Schaden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2013)

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