Kubas Mini-Kapitalismus reicht nicht

(c) REUTERS (DESMOND BOYLAN)
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467.000 Kubaner arbeiten nach der sanften Öffnung des kommunistischen Systems in der Privatwirtschaft. Doch Staatschef Raúl Castro ist unzufrieden: Die Wirtschaft darbt dennoch.

Havanna. Zu Beginn die gute Nachricht: Kuba wird einen Berg Schulden los. Vorigen Freitag beschloss Russlands Staatsduma, der Karibikinsel 90 Prozent der Außenstände aus den Tagen der versunkenen Sowjetunion zu erlassen. Es handelt sich immerhin um fast 26 Milliarden Euro. Die restlichen zehn Prozent, also 2,6 Milliarden, soll die Insel bis 2024 in zweimonatlichen Raten auf ein Konto zurückzahlen, das Russlands Staatsbank bei der kubanischen Zentralbank eingerichtet hat. Diese Gelder sollen die Insel nicht verlassen, sondern direkt in lokale Investitionen fließen. Solche Amigos können die Brüder Castro gut brauchen, denn die Wirtschaft ihrer Insel kommt trotz der eingeleiteten Reformen nicht ordentlich voran.

Das gab der Regierungschef auch öffentlich zu. Am Samstag sagte Raúl Castro vor dem Parlament: „Das wirtschaftliche Resultat stellt uns nicht zufrieden.“ Den 548Abgeordneten, die nur zweimal jährlich für jeweils einen Tag zu regulären Sitzungen zusammenkommen, versicherte der 83-Jährige freilich, dass ihn die Wirtschaftszahlen „nicht entmutigen“. Wie stets machte der Altrevolutionär das seit 52 Jahren währende US-Embargo für die Schwierigkeiten verantwortlich, gleichzeitig sagte er, dass die sachten Reformen weitergeführt werden, selbst wenn diese noch keine Erfolge brachten. Kubas Wirtschaft wuchs im ersten Halbjahr um 0,6 Prozent, so schwach wie seit Jahren nicht. Wirtschaftsminister Adel Yzquierdo musste die Wachstumsprognose für 2014 von 2,2 auf 1,4 Prozent reduzieren.

Staat entlässt Beamtenheer

Seit Raúl Castro 2008 die Regierungsspitze von seinem fünf Jahre älteren Bruder Fidel übernommen hat, praktiziert er einen Kurs kleiner Schritte, um das sozialistische Modell mit marktwirtschaftlichen Elementen anzureichern, ohne das System auf den freien Markt auszurichten, wie das etwa die Kommunisten in China praktizierten. Castros Administration entließ 2013 ein Heer überflüssiger Beamter und ermöglichte den Aufbau von privatem Kleingewerbe. Heute arbeiten 467.000 Kubaner in fast 13.000 Privatfirmen, viele davon Restaurants und andere Touristikbetriebe.

Ein besonderes Problem für die Regierung ist die Unproduktivität der Landwirtschaft. Obwohl genug Anbauflächen da sind, muss die Insel einen Großteil der Lebensmittel importieren, wofür dringend benötigte Devisen abfließen. Nun beschlossen die Behörden die Neustrukturierung der Agrarkooperativen, was bis 2015 auf die Entlassung von 40 Prozent des administrativen Personals hinauslaufen und umgerechnet etwa 460 Mio. Euro Ersparnis bringen soll. Zugleich versucht die Regierung, im Ausland Investitionen anzulocken, ein Gesetz, das den Bewegungsspielraum für ausländische Investoren vergrößert, wurde vom Parlament im März gebilligt.

Kubas Ärzte als Geldquelle

Gleichzeitig suchen Kubas Kommunisten nach Wegen, die lange offenen Verbindlichkeiten beim „Pariser Club“ abzutragen. Den westlichen Staaten schuldet Kuba etwa 26 Milliarden Euro, fast so viel wie Russland. Sollte Castro seine jahrzehntelange Resistenz gegen eine Rückzahlung aufgeben, kann er auch hier mit einem erheblichen Schuldenschnitt rechnen.

Derzeit sind Kubas wichtigste Einnahmequellen die Gelder, die das Land aus den Auslandseinsätzen seines „Heeres aus weißen Kitteln“ lukriert. Mehr als 50.000 kubanische Ärzte, Krankenpfleger und Sporttrainer sind in über 60 Ländern der Welt im Einsatz, die Bezahlung dafür fließt zum erheblichen Teil in die Staatskassen. Über 30.000 kubanische Mediziner tun Dienst in Venezuela, das im Gegenzug Öl liefert, welches Kuba selbst nutzt oder unter der Hand zu Devisen macht. Die Zukunft des kubanischen Modells ist essenziell vom Überleben der Chávisten in Caracas abhängig, doch deren Wirtschaft leidet unter der höchsten Inflationsrate der Welt und akutem Versorgungsmangel, wie ihn die Kubaner seit mehr als fünf Jahrzehnten erleben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2014)

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