Aktienkurse rasen über Richtfunk

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Broker verwenden ehemalige Sendemasten des Militärs, um bei Handelsaufträgen jede Millionstelsekunde zu nützen. Das erhöht ihre Gewinne.

London/Brüssel. Ein rund 240 Meter hoher Mikrowellen-Richtfunkmast auf einer Kuhweide in Belgien: Einst übermittelte er Nachrichten an die US-Streitkräfte, als Selbstmordattentäter in Beirut 1983 bei einem Anschlag auf die Kaserne der Marines hunderte Soldaten töteten. Jetzt wird der Sendemast von Hochfrequenzhändlern genutzt.

Jump Trading LLC – ein von ehemaligen Parketthändlern gegründetes Unternehmen mit Sitz in Chicago – hat den Sendemast vergangenes Jahr über eine britische Tochter namens Toren Navo Aansluiting Ltd. gekauft, wie Pflichtmitteilungen aus Großbritannien und Belgien zeigen. Der Funkturm, der von Jump aufgerüstet wurde, steht im belgischen Houtem.

Handelsaufträge, die einst durch Rufe und Handzeichen ausgeführt wurden, werden zwischen den Kontinenten nun nahezu in Lichtgeschwindigkeit übertragen. Auf der Jagd nach einem Millionstelsekundenvorsprung waren Glasfaserkabel bislang die bevorzugte Wahl von elektronischen Handelsfirmen wie Jump. Jetzt setzen die Blitzhändler auf Mikrowellentechnologie, mit der sich Daten in fast der Hälfte der Zeit übermitteln lassen. So können sie aus minimalen und flüchtigen Preisdifferenzen höhere Gewinne herausschlagen.

„Es geht darum, die eigene Position zu verteidigen“, sagt Peter Nabicht, leitender Berater beim Branchenverband Modern Markets Initiative und Ex-Technik-Vorstand des Hochfrequenzhändlers Allston Trading LLC. US-Firmen haben vor vier oder fünf Jahren erste Versuche mit der Datenübertragung per Mikrowelle unternommen. Zuletzt wurden Mikrowellen auch verstärkt in Europa eingesetzt, wo Handelsfirmen ehemalige Richtfunkmasten des Militärs nutzen, um Signale mit Lichtgeschwindigkeit von der Frankfurter Börse an den Handelsplatz in London zu senden. Ziel ist, von Kursbewegungen bei Aktien und anderen Vermögenswerten zu profitieren, auf die ein Mensch nicht schnell genug reagieren kann. Es geht um den Vorsprung von Millionstel- oder sogar Milliardstelsekunden.

Zunahme in Europa

Custom Connect BV mit Sitz im niederländischen Amersfoort verfügt seit März 2013 über ein Mikrowellennetzwerk, das die Zeit des Datentransfers von Frankfurt nach London und zurück um 4,43 Millisekunden verkürzt. Das sei etwa 50 Prozent schneller als per Kabel, sagt Konzernchef Jan Willem Meijer.

In den USA fiel der Anteil des Hochfrequenzhandels am gesamten Aktienhandel nach Angaben des Beraters Aite Group LLC von 63 Prozent im Jahr 2009 auf 51Prozent im Jahr 2013. In Europa wuchs der Blitzhandel indes von 25 auf 41 Prozent an.

Auch Finanzunternehmen in Großbritannien versuchen sich durch die Nutzung alter militärischer Strukturen einen Handelsvorteil zu verschaffen. Eine Reihe Masten in Swingate nahe Dover, die die U.S. Air Force nutzte, gehören nun Arqiva Ltd., die aus der Privatisierung von Übertragungseinrichtungen der BBC hervorging.

Die Umnutzung der militärischen Bauten spiegelt den Wandel der Zeit wider. Früher wurden Richtfunkmasten wie der von Jump in Houtem und anderen auf der anderen Seite des Ärmelkanals benutzt, um während des Kalten Krieges und bei Terroranschlägen wie 1983 in Beirut Nachrichten an die Streitkräfte zu übermitteln, erinnert sich Darcy Calvillo, ehemaliger Unteroffizier der Air Force. Doch im Laufe der Zeit änderten sich die Prioritäten der nationalen Sicherheitspolitik, und die Technologie entwickelte sich weiter. „Das hat Sinn, denn die nächste Generation von Kriegen wird wahrscheinlich mit Finanzen zu tun haben“, meint Calvillo. (Bloomberg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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