"Zangengeburt": Brüssel begrüßt Athens Ideen

Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras REUTERS
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Die Reformvorschläge seien eine gute Basis für den heutigen Krisengipfel der Staats- und Regierungschefs, heißt es von der EU-Kommission. Der griechische Regierungschef Tsipras sprach von einer "endgültigen Lösung".

Die EU-Kommission hat die neuen Vorschläge aus Athen zur Beilegung des Schuldenstreits als "gute Grundlage" bezeichnet. Die Vorschlagsliste sei bei der Kommission sowie beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) eingegangen, bestätigte der Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, in der Nacht auf Montag über Twitter. Sie seien eine gute Basis für Fortschritte beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone heute Abend in Brüssel. Selmayr fügte in seinem Eintrag im Kurznachrichtendienst Twitter offenbar mit Blick auf das zähe Ringen in der Schuldenkrise an: "In German: 'eine Zangengeburt'".

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker selbst sieht einen "Fortschritt" in den Verhandlungen mit Griechenland. Juncker sagte nach einem Treffen mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras am Montag in Brüssel, es gebe Fortschritte, "aber wir sind noch nicht da". Er wisse nicht, ob es am heutigen Montag eine Einigung gebe, so Juncker auf entsprechende Fragen. Es gebe aber Bewegung.

Finanzpresse: Deutliche Steuererhöhungen

Nach Informationen der Athener Finanzpresse hat die griechische Regierung den Gläubigern harte Steuererhöhungen und Einsparungen angeboten, um die Schuldenkrise zu lösen. Ministerpräsident Tsipras "hat ein schweres Sparpaket nach Brüssel mitgenommen", schreibt "Capital" auf seiner Homepage.

Die von Tsipras vorgeschlagenen Maßnahmen sollen demnach in den kommenden eineinhalb Jahren fünf Mrd. Euro einbringen. Unter anderem solle der Mehrwertsteuersatz für Grundnahrungsmittel wie Reis und Nudeln von 13 auf 23 Prozent erhöht werden. Die Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe solle von 6,5 auf 13 Prozent verdoppelt werden. Zudem sollen die Mehrwertsteuern in Tavernen, Restaurants und Cafés von 13 auf 23 Prozent steigen.

Neu eingeführt werden solle eine Sondersteuer auf Einkommen von 30.000 Euro jährlich, die von ein Prozent stufenweise bis sieben Prozent steigen könnte. Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinne hatten, sollen bis zu sieben Prozent Sonder-Gewinnsteuer zahlen. Bleiben solle eine Immobiliensteuer, die die linke Regierung eigentlich abschaffen wollte. Allein diese Maßnahme soll gut 2,6 Mrd. Euro in die Kassen spülen. Inhaber von Jachten, Luxusautos und Schwimmbäder müssten noch tiefer in die Tasche greifen. Ebenso sollen die meisten Frührenten abgeschafft werden.

Börsen deutlich im Plus

Die gewachsene Hoffnung auf einen Kompromiss beflügelte die griechischen Börsen. Der Athener Leitindex baut die Gewinne aus und legt um knapp sieben Prozent zu. Auch die übrigen europäischen Börsen notierten nach Handelsbeginn deutlich im Plus. So gewann der DAX in Frankfurt 2,71 Prozent, in London zeigte sich der FT-SE-100 mit plus 1,35 Prozent.

In Brüssel kommen heute Mittag die Euro-Finanzminister, am Abend dann die Staats- und Regierungschefs zusammen. Ohne Fortschritte droht Griechenland Ende Juni der Staatsbankrott, was zum Ausscheiden aus der Eurozone führen könnte. Griechenland verhandelt seit Monaten mit seinen internationalen Geldgebern über die Bedingungen zur Auszahlung ausstehender Finanzhilfen in Höhe von 7,2 Milliarden Euro. Streit gibt es vor allem über von den Gläubigern geforderte Einschnitte bei den Pensionen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Athen: "Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen"

In Telefonaten mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef Francois Hollande und EU-Kommissionschef Juncker hatte Regierungschef Tsipras nach Angaben seiner Regierung am Wochenende seine Vorschläge für eine "endgültige Lösung" in der Krise erläutert. Zum Inhalt der neue Vorschläge, die beim heutigen EU-Sondergipfel besprochen werden sollen, hatte die Regierung in Athen keine konkreten Angaben gemacht - ob Tsipras auf die Forderungen der Gläubiger nach weiteren Spar-und Reformmaßnahmen einging, blieb daher offen.

Die griechische Regierung erklärte lediglich, die Vorschläge zielten auf eine "Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen" ab. Staatsminister Alekos Flambouraris hatte zuvor von Zugeständnissen an die Geldgeber gesprochen.

Chondros: "Therapie" als Grund für Hohe Schulden

Unterdessen machte Giorgos Chondros von der griechischen Regierungspartei Syriza am Sonntag in der ORF-Sendung "Im Zentrum" vor allem die Sparvorgaben der Geldgeber Griechenlands für die Verschlechterung der Schuldensituation verantwortlich. "Griechenland hat zwischen 2010 und 2014 alle Verträge eingehalten, auch bis heute. Bis heute hat Griechenland alle Tranchen pünktlich und in vollem Ausmaß zurückbezahlt", sagte Chondros. Die "Therapie" der Gläubiger habe jedoch dazu geführt, dass die Staatsverschuldung von 120 auf 180 Prozent des BIP gestiegen sei, weil die Wirtschaftsleistung dramatisch gesunken sei.

Der griechische Staatsminister Nikos Pappas benannte in der Sonntagszeitung "Ethnos" die roten Linien seiner Regierung: "Wiederherstellung des Arbeitsrechtes, keine Senkung von Gehältern und Pensionen, ein strategischer und vollständiger Plan für das Schuldenproblem" - also eine Umstrukturierung. Flambouraris deutete gleichwohl die Bereitschaft an, die Frühpensionierung einzuschränken und die Unternehmensbesteuerung zu reformieren. Finanzminister Yanis Varoufakis wandte sich in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" direkt an Merkel: "Die deutsche Kanzlerin steht am Montag vor einer entscheidenden Wahl". Sie könne "eine ehrenvolle Einigung" mit einer Regierung erzielen, oder "die einzige griechische Regierung über Bord" werfen, "die prinzipientreu ist".

7000 demonstrierten in Athen

In Athen demonstrierten am Sonntag indes laut Polizei mindestens 7000 Menschen vor dem Parlament, um der linksgeführten Regierung ihre Unterstützung auszusprechen und gegen weitere Einsparungen zu protestieren. Die Menschen sangen, schwenkten griechische Flaggen und Transparente mit Aufschriften wie "Nein zum Euro", "Das Volk lässt sich nicht erpressen" und "Das Land steht nicht zum Ausverkauf". "Sie wollen uns demütigen", sagte der 65-jährige frühere Lehrer Yiota Kananakari an die Adresse der Gläubiger. "Warum bestehen sie sonst auf all den Maßnahmen? Wir werden das nicht länger hinnehmen." In mehreren europäischen Städten gab es Solidaritäts-Kundgebungen, darunter in Brüssel, wo rund 3500 Menschen auf die Straße gingen.

(APA/AFP/Reuters/dpa)

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